Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
starrte sie einen langen Moment ungläubig an. »Ich dachte ... Nun, ich war überzeugt, dass es keine Halbelfen gibt. Nicht mehr, jedenfalls. Man sagt, sie seien alle ...« Die Frau brach verlegen ab.
»Getötet worden?«, warf Nihal kühl ein. »Ja, das sind sie. Alle, bis auf eine: und das bin ich. Der Tyrann hat mein ganzes Volk ausgerottet. Und ich bin die letzte Halbelfe der Aufgetauchten Welt. Aus diesem Grund möchte ich auch so schnell wie möglich wieder von hier fort, damit ich mit meinem Schicksal nicht noch andere gefährde.« Eleusi spürte Nihals ganze Trauer, ihre Verlassenheit. Ein Teil ihrer selbst riet ihr, sie ziehen zu lassen, und das so schnell wie möglich. Doch eine andere Stimme sagte ihr, dass sie dieses einsame Mädchen nicht sich selbst überlassen durfte. »Warum bleibst du nicht noch eine Weile? Du lässt deine Wunden ganz ausheilen, leistest Jona Gesellschaft ... Er hat dich richtig ins Herz geschlossen, weißt du das? Und außerdem wohne ich ja etwas abseits vom Dorf. Wenn du willst, kannst du dich bei mir verstecken ..., hier sieht dich niemand ...«
Nihal unterbrach sie. »Nein, Eleusi. Ich glaube, nächste Woche werde ich mich wieder auf den Weg machen.«
Die Frau nickte enttäuscht: Sie hatte sich an Nihals Gesellschaft gewöhnt und spürte, dass sie sie nur schweren Herzens gehen lassen würde. »Wo willst du denn hin?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht.«
»Du hast doch sicher einen Freund, einen Verlobten irgendjemanden, der auf dich wartet ...«
»Nein, auf mich wartet niemand. Ich werde einfach umherziehen.«
Diese Worte gaben Eleusi neuen Auftrieb. »Nun mal im Ernst, Nihal, du siehst doch, dass ich Recht habe. Bleib einfach noch. Jona und ich, wir beide freuen uns, wenn du bei uns bist. Und außerdem könntest du mir auch etwas zur Hand gehen, beim Weben, beim Holzhacken ... Du wirst sehen, es wird schön!«
Nihal deutete ein Lächeln an. »Danke, Eleusi, aber ...«
Die Frau ergriff ihre Hand und drückte sie. »Versprich mir, dass du darüber nachdenkst.«
Nihal erwiderte den Händedruck. »Versprochen.«
Als Eleusi am nächsten Tag von einer Erledigung heimkam, fand sie Nihal vor dem Kamin sitzend vor. Sie hatte den Verband von ihrem Bein gelöst und hielt eine Hand über die Wunde. Aus ihrer geöffneten Handfläche strömte ein schwaches rötliches Licht.
»Was tust du da?«, fragte Eleusi besorgt.
Nihal sprang auf und zog die Hand weg. »Ach nichts ..., ich habe mir nur meine Wunde angesehen ...«, antwortete sie und legte rasch die Hand wieder aufs Bein. Doch Eleusi war nicht entgangen, dass die Wunde erheblich kleiner geworden war. »Du bist also eine Magierin ...«, murmelte sie.
»Nein, nicht so richtig. Ich kenne nur einige einfache Zauber. Weißt du, für einen Krieger können solche Kenntnisse sehr nützlich sein, und deswegen ...« Nihal bemerkte, wie kühl sich Eleusi plötzlich verhielt. Seit der Tyrann die Macht an sich gerissen hatte, gab es gegenüber Magiern überall große Vorbehalte. Eleusi bestand darauf, sich die Wunde anzusehen: Die Fäden waren nicht mehr nötig, und während Eleusi sie mit sicherer Hand durchschnitt und aus der Wunde löste, blickte sie Nihal von unten herauf an, unentschlossen, wie sie sich nun, in der neuen Situation, verhalten sollte. Doch als sie mit der Arbeit fertig war, wirkte sie wieder heiterer. Und in ihrem Gesicht stand sogar ein Lächeln, als sie zu Nihal sagte: »Weißt du, was du jetzt brauchst? Eine schönes heißes Bad! Pass auf, ich mache gleich alles für dich fertig.« Ein heißes Bad? Nihal hatte sich immer auf einfachste Art und Weise gewaschen: mit kaltem Wasser aus einem Eimer.
Und Eleusi machte sich geschäftig ans Werk. Sie ging hinaus und erschien gleich darauf wieder mit einem riesengroßen Kupferkessel, den sie in ihr Zimmer schob. Dann begann sie, am Herd mit Töpfen voller Wasser herumzuhantieren.
Als alles fertig war, nahm sie Nihal bei der Hand und zog sie ins Schlafzimmer. »Los, komm, was machst du denn für ein Gesicht? Du wirst sehen, danach fühlst du dich wie eine Königin!«
Nihal zog sich vor dem Spiegel aus. Als kleines Mädchen hatte sie sich einmal eine Zeit lang sehr für Spiegel interessiert: Sie hatte sich darin betrachtet und herauszufinden versucht, ob jenes Mädchen dort auf der silbernen Fläche tatsächlich sie selbst war oder etwa ein Kobold, der sie zum Narren hielt.
Nun musterte sie sich so neugierig wie jemand, der sich zum ersten Mal sieht. Sie betrachtete die
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