Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
nickte.
»Das heißt, der Feind darf auf keinen Fall von deiner Existenz erfahren. Vermumm dich also gut, bevor es losgeht.«
»Warum? Ich kann mir nicht vorstellen, dass den Tyrannen meine Anwesenheit hier besonders interessiert.«
»Der Tyrann hat aber dein Volk auslöschen lassen. Wir wissen nicht, warum, aber wir wissen, dass du die letzte Überlebende bist. Erfährt er von dir, könnte das ganze Lager in Gefahr geraten. Es war ein großer Fehler, deinen Namen überall herumzuposaunen, so wie du es meinen Informationen nach in Makrat getan hast. Im Krieg darf man einen Soldaten verlieren, aber nicht eine ganze Einheit.«
Nihal kam sich wieder wie eine Bedrohung vor. Es stimmte also, was sie nach Livons Tod gedacht hatte: Ihre bloße Existenz brachte die Menschen um sie herum in Gefahr. Der Veteran reichte ihr einen Helm, der ihren Kopf ganz einschloss, so dass weder ihre Haare noch ihre Ohren zu erkennen waren.
Dieser Helm war das erste Problem, denn er saß so eng, dass er schmerzte. Das zweite war die Rüstung: Die Brustpanzer, die an alle verteilt wurden, passten nicht zu Nihals zierlicher Figur. Kein einziger war darunter, der tragbar gewesen wäre. Irgendwann verlor der Veteran die Geduld. »Ach, Frauen! Es hat schon seinen Grund, dass sie eigentlich zu Hause bleiben und die Kinder hüten sollen!«
Nihal warf den Brustpanzer zu Boden.
»Ich brauche das alles nicht.«
»Ach, tatsächlich? Gut, ich verstehe. Du gehörst zu den Helden, die mit stolzgeschwellter Brust hier eintreffen, in der Überzeugung, sogleich große Taten vollbringen zu können. So jemand ist in jeder neuen Gruppe, die man uns aus der Akademie herschickt. Und soll ich dir mal was sagen? Das sind die, die am schnellsten wieder fort sind: Entweder fallen sie in der Schlacht, oder sie bekommen beim ersten Angriff schon das große Flattern und verkriechen sich in irgendein Mauseloch.«
»Aber ich bin nicht zum Spielen hier, sondern zum Kämpfen«, entgegnete Nihal. »Umso besser, aber sieh zu, dass du die anderen nicht in Gefahr bringst.« Als Nihal durch das Lager schlenderte, stellte sie fest, dass sich selbst an einem solchen Ort des Krieges so etwas wie ein Alltag einstellte. Einige Soldaten schrieben Briefe, andere schliefen, wieder andere wuschen ihre Kleider aus. Über allem lag eine seltsame Stille, so als halte alles die Luft an. Sie kam sich vor wie an einem Ort, der der Zeit entrückt war und wo man auf irgendetwas wartete, von dem man nicht wusste, was es sein mochte.
Das Essen war karg und wurde schweigend eingenommen. Nihal fragte sich, ob dies vor einer Schlacht wohl immer so war. Dachten alle an morgen? Oder gewöhnte man sich auch daran, immer wieder sein Leben aufs Spiel zu setzen, und hatte irgendwann keine Angst mehr davor? Was sie selbst betraf, so konnte sie es gar nicht erwarten, endlich in den Kampf zu ziehen.
Nach der Verpflegung zogen sich alle in ihre Zelte zurück. Nihal wartete, bis Laio eingeschlafen war, und erst als sie hörte, dass seine Atemzüge regelmäßig kamen, legte sie sich auch nieder. Es war gar nicht so leicht, in den Schlaf zu finden: Sobald sie die Augen schloss, wirbelten Schlachtenbilder in ihrem Kopf herum, Bruchstücke ihrer Albträume, Erinnerungen aus ihrer Kindheit. Bald war ihr, als platze ihr der Schädel. Irgendwann stand sie wieder auf und verließ die Unterkunft.
Draußen kroch ihr sofort die Kälte in die Glieder. Sie hüllte sich in ihren Umhang und wanderte durch das schlafende, im Dunst liegende Lager. Es herrschte eine vollkommene, unwirkliche Stille. Eine friedliche Atmosphäre, die so gar nicht zu den Verwüstungen, die sie auf der Fahrt hierher gesehen hatte, passen wollte. Nihal wanderte ein Stück, bis aus der Dunkelheit die Umrisse der zerstörten Turmstadt auftauchten. Und ihr war, als würden die Steine jener unbekannten, nunmehr erloschenen Stadt nach ihr rufen. Sie ging näher heran und begann dann, eine Treppe hinaufzusteigen, die wie durch ein Wunder die Zerstörungen überstanden hatte, wenn auch einige Stufen wackelten und andere ganz fehlten. So gelangte sie fast bis zum höchsten Punkt der Turmstadt. Erst etwas unterhalb der Spitze, dort, wo einmal die Aussichtsterrasse gewesen sein musste, kam sie nicht mehr weiter: Die Stockwerke darüber waren fast ganz eingestürzt. Während sie so umherwanderte, schienen ihr die Steine der Turmstadt von ihrem eigenen Leben im Land des Windes zu erzählen. In jenen durch das Feuer und die Zerstörungswut der Menschen
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