Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
sich schlagen.
Doch als sie jetzt so verzweifelt vor ihm saß, kam sie ihm einfach wie ein wehrloses Mädchen vor.
Eine Weile beschränkte er sich darauf, sie anzusehen, doch dann drängte es ihn mehr und mehr, sie zu trösten, mit ihr zu reden. »Er war dein Lehrer, nicht wahr?« Keine Antwort.
»Das habe ich jedenfalls gehört. Es tut mir wirklich Leid um ihn. Und auch für dich. Eine traurige Sache.«
Nihal hob noch nicht einmal den Kopf.
»Ich hatte keinen richtigen Lehrer, aber ich glaube, ich verstehe, was in dir vorgeht. Ich bin jetzt zweiundzwanzig und kämpfe, seit ich sechzehn bin. Viele Freunde habe ich sterben sehen. Bei den ersten ging es mir so wie dir jetzt. Dann habe ich mich daran gewöhnt. Der Tod ist immer da, und Tränen nützen leider gar nichts.« Nihal blieb stumm, rührte sich nicht. Es gab keine Worte, um sie zu trösten, und sie wollte auch gar nicht getröstet werden. Sie wollte nur noch im Boden versinken und nichts mehr hören, sehen und fühlen.
»Ich glaube ja, was die Priester sagen: dass uns nach diesem Leben eine Welt ohne Kriege und ohne Leid erwartet. Meine Freunde sind jetzt alle schon dort, das spüre ich. Und dort wird jetzt auch dein Lehrer sein und stolz auf dich herabblicken. Ich hab dich kämpfen sehen. Du wirst einmal ein phantastischer Drachenritter werden. Doch nun darfst du nicht verzagen: Ich bin sicher, dein Lehrer würde ...«
Nihal konnte diese Flut gut gemeinter Banalitäten nicht länger ertragen. Sie hob den Kopf und blickte ihn aus ihren violetten Augen ungnädig an. »Lass mich endlich in Frieden!«
Fassungslos senkte der Soldat den Blick. »Nur Mut«, murmelte er. Mehr fiel ihm nicht mehr ein.
Am Abend erbot sich Laio, den Soldaten abzulösen.
Ein Kamerad, der Nihals Zusammenbruch miterlebt hatte, hatte ihm berichtet, was vorgefallen war. Und Laio wusste sofort, dass der Tote jener mysteriöse Ritter war, von dem sie ihm so oft erzählt hatte. Daher beschloss er, ihr in der Nacht beizustehen, so wie sie ihm in der Schlacht beigestanden hatte.
Als er das Zelt betrat, traute er seinen Augen nicht: War dieses auf der Pritsche kauernde Mädchen wirklich die starke Frau, die er gekannt hatte?
Sie war bleich, ihr Blick leer. Sie schien wie tot.
Laio sagte kein Wort. Er legte sich neben sie, nahm sie in den Arm und glitt langsam in den Schlaf.
Nihal hatte noch nicht aufgegeben. Nachdem die erste Verzweiflung überwunden war, nahm in ihrem Kopf ein Gedanke mehr und mehr Gestalt an. Fen war nicht tot. Er war vermisst. Gewiss, dagegen sprach die Aussage dieses Soldaten, aber auf diese Entfernung hatte er ihn unmöglich genau erkennen können. Er hatte sich geirrt. Fen lebte. Fen musste leben, als Gefangener in der Hand des Feindes oder verwundet in der Turmstadt, und mit jeder Stunde, die verging, verschlechterten sich die Aussichten, ihn noch zu retten.
Ein wahnhaftes, unbezähmbares Verlangen, ihn zu suchen, ergriff sie. Sie würde ihn finden, würde ihn heil und gesund ins Lager zurückbringen und am nächsten Tag mit ihm gemeinsam über dieses Abenteuer lachen und über ihre absurde Angst, von der sie sich hatte ins Bockshorn jagen lassen.
Ein verzweifeltes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Fen lebt, und ich werde ihn retten.
Die Nacht war stockfinster. Aus der Dunkelheit ragten die Umrisse des Turmes hervor, immer noch erhellt von der Glut des Feuers, das ihn zerstört hatte.
Nihal störte sich nicht daran, dass das Feuer noch nicht ganz erloschen war. Und es interessierte sie auch nicht, dass feindliche Soldaten sie hätten sehen können, wenn sie die Ebene durchritt. Fen war alles, was ihr geblieben war, er war ihr Leben, und nichts und niemandem würde sie erlauben, sich ihr in den Weg zu stellen. Sie schlich sich aus dem Lager und erreichte die Pferdekoppel. Und schon einen Augenblick später sprengte sie in wildem Galopp auf den Turm zu.
Das Tor lag verkohlt am Boden, und das Feuer loderte noch an vielen Stellen der Befestigung. Nihal blickte ins Rot der Flammen. Sie hatte keine Furcht. Entschlossenen Schritts trat sie ein. Sofort drang ihr beißender Rauch in die Lunge. Sie hustete. Der Innenhof war mit Leichen übersät, viele erschlagen von den Mauern, die durch das Feuer eingestürzt waren, andere verbrannt.
Mühsam bahnte sich Nihal einen Weg zwischen den Trümmern. Es war heiß, die Luft nicht zu atmen, aber unbeirrt kämpfte sie sich, mit Blicken den Boden absuchend, vorwärts.
Ein Donnern ließ sie zusammenzucken: Nicht weit von ihr
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