Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
deinem Tod erreichst du gar nichts, Ido. Der Tod kann deine Sünden nicht hinwegwaschen und dich nicht zu einem besseren Menschen machen«, sprach er zu ihm. »Wenn du aber weiterlebst, kann aus Schuld und Verzweiflung etwas Gutes entstehen.«
Ido verstand den Sinn dieser Worte nicht.
»Die Reue, die dich quält, würde dich immer begleiten. Die Erinnerung an deine Taten würde deine Sühne sein«, fuhr Dagon fort. Dann blickte er ihm fest in die Augen. »Du bist ein großer Krieger, Ido. Ich will dir einen Vorschlag machen: Kämpfe an unserer Seite, und trage das deine dazu bei, den Tyrannen zu stürzen und zu verhindern, dass er noch mehr Länder an sich reißt. Das ist meine Idee, meine Initiative. Willst du sterben, so wird sich der Rat dem nicht widersetzen und dich hinrichten lassen. Willst du jedoch im Heer der freien Länder kämpfen, werde ich mich dafür einsetzen, dass man dich in unseren Reihen aufnimmt. Die Entscheidung liegt hei dir.«
Ido dachte lange darüber nach. Sollte es tatsächlich möglich sein, noch einmal von vorne zu beginnen? Gab es eine Chance, ein anderer zu werden? Er hatte noch nie daran gedacht, für ein hehres Ziel zu kämpfen: nicht für die Macht, nicht für eine Krone, nicht um zu töten, sondern für das Leben.
Als er in der Woche darauf wieder vor den Rat geführt wurde, nahm er das Angebot an. Wie nicht anders zu erwarten, waren nicht alle Räte und Heerführer mit diesem Plan einverstanden. Vor allem Raven, der oberste General, bekämpfte ihn verbissen.
Dagon aber übernahm jegliche Verantwortung für Idos Tun.
Der Gnom begann wieder als Fußsoldat.
Am Tage seiner ersten Schlacht suchte ihn Dagon auf, um ihm sein Schwert zurückzugeben. Als er ihm die Waffe überreichen wollte, zuckte Ido zusammen und scheute sich sogar, sie auch nur zu berühren. »Ins Heft ist der Treueschwur auf den Tyrannen eingraviert«, murmelte er. »Wie soll ich da . . . ?«
Der Rat unterbrach ihn mit einer Geste und zeigte ihm den Griff: Wo einmal Runen standen, erkannte man nur noch tiefe Kratzspuren.
»Dein neues Leben musst du dir auf den Resten des alten aufbauen«, sagte Dagon. »Der Schmerz wird vergehen, doch die Erinnerung bleibt. Dieses Schwert zeugt davon, was du einst gewesen bist, und bürgt dafür, dass du es nie wieder sein wirst.«
Der Gnom machte eine Pause. Er stand auf und trank einen großen Schluck Wasser aus einem Krug. Er reichte Nihal das Gefäß, doch das Mädchen rührte sich nicht.
Ido stellte den Krug auf dem Boden ab und setzte sich wieder auf die Pritsche. »Von meinem Schwert habe ich mich nie getrennt. Ich habe andere Zeichen eingraviert, habe die Namen gefallener Kameraden ins Heft geritzt, doch die wichtigsten Zeichen sind immer noch diese Kratzspuren.« In aller Ruhe zündete er sich die Pfeife an und zog so lange, bis sie brannte. »Jener ersten Schlacht folgten viele, viele weitere.
Und wo er konnte, hat mir Raven Steine in den Weg gelegt. Er ging sogar so weit, mich des Verrats zu bezichtigen. Dazu zwang er ein paar arme Schlucker zu schwören, sie hätten beobachtet, wie ich mich heimlich mit einigen Fammin getroffen hätte. Ich hab die Sache heil überstanden, aber seitdem gehört Raven zu den Leuten, denen ich nur sehr ungern über den Weg laufe. Seit zwanzig Jahren diene ich nun in dieser Armee, habe Hunderte von Schlachten geschlagen, bin ein anderer geworden. Dabei habe ich meine Vergangenheit nicht vergessen, aber ich weiß, jede Handbreit Boden, den ich erobere, jeder Kampf, den ich gewinne, ist ein weiterer Schritt zu meiner Erlösung. Der Weg der Wiedergutmachung ist endlos. Meine Schuld dem Leben gegenüber ist nicht zu tilgen. Und doch bin ich so anmaßend zu glauben, dass das Wenige, das ich tue, schon etwas bedeutet.«
Ido schwieg, und im Zelt senkte sich, schwer wie ein Bleimantel, eine bedrückende Stille herab. Nihal saß noch immer reglos auf der Pritsche. Sie konnte ihn nicht anschauen, konnte keinen klaren Gedanken fassen.
»Warum hast du mir das nie erzählt, Ido?«, flüsterte sie.
Ido zog die Augenbrauen hoch. »Was glaubst du, warum?«
»Das frag ich dich!«, sagte Nihal lauter. Sie war aufgewühlt und spürte, dass ihr Tränen der Wut in die Augen traten. »Ich hab dir alles von mir erzählt! Von meiner Vergangenheit, meinen Albträumen, Dinge, von denen sonst niemand wusste. Dir hab ich's erzählt, weil ich dir vertraute, weil du mich lehrtest, was das Leben ausmacht. Ja, ich hab dir vertraut, Ido, aber du hast mir so etwas
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