Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
ihm Mittag- und Abendessen ans Bett, schaute ihn mit bewundernden Augen an und bediente ihn wie einen feinen Herrn.
Der Einzige, der sich nicht blicken ließ, war Benares. Wie Dodi erzählte, hatte er Aires bereits mehr als einmal eine Szene gemacht, aber Sennar gab nichts darauf. Schließlich hatte er den wütendsten Sturm gezähmt, da konnte ihm ein eifersüchtiger Geliebter keine Angst mehr einjagen.
Als er sich wieder bei Kräften fühlte, beschloss er, dass es Zeit sei, sich wieder an die Arbeit zu machen. Er zog sich an und stieg hinauf an Deck. Die Vanerien erwarteten ihn. Die Insel, vor der sie ankerten, war mit üppigen Wäldern überzogen. Es gab eine einzige größere Stadt, die sich an die Hänge eines erloschenen Vulkans klammerte. Sennar war ein erfahrener Reisender, aber solch einen Ort hatte er noch nie gesehen.
In der Mitte der Stadt erhob sich ein Turm, der an jene Türme im Land des Windes erinnerte, während der Gouverneurspalast so trutzig und reich verziert war, wie Sennar es aus dem Land der Sonne kannte. Ein Teil der Stadt erstreckte sich am Ufer eines kleinen Sees, aus dem die gleichen Pfahlbauten ragten, die auch im Land des Wassers zum Bild gehörten. Weiter oben hingegen, dem Vulkankrater zu, sah man eine Reihe von Gebäuden, die geradezu aus dem Fels herauszuwachsen schienen.
Insgesamt wirkte die Stadt wie ein Mosaik, hatte aber doch ihren eigenen Charme. Ein Rundgang durch ihre Sträßchen ähnelte einer Blitzreise durch die Aufgetauchte Welt. Die Einwohner waren so bunt gemischt wie ihre Häuser, denn hier lebten die unterschiedlichsten Völker in Harmonie zusammen, in einem vollkommenen Gleichgewicht, das sie durch nichts zu erschüttern schien. Sennar war, in Begleitung von Rool, in die Stadt gekommen, um Erkundigungen einzuholen. Wollte er seine Reise zu einem glücklichen Ende bringen, war er auf Hilfe von allen Seiten angewiesen.
Zunächst hatten sie sich in einem Wirtshaus umgehört. Als der Wirt ihnen dort von einer gewissen Moni, der ältesten Frau der Vanerien, erzählte, hatten sie sich sogleich den Weg zu ihr beschreiben lassen.
Sennar hatte ein vergreistes Mütterchen mit verwirrten Sinnen erwartet und war überrascht, auf eine Frau zu treffen, deren Haut so golden und glatt wie die eines Kindes war und die geistig einen vollkommen klaren Eindruck machte. Allein die weißen Strähnen im sonst dunklen Haar verrieten ihr fortgeschrittenes Alter.
Die Frau ließ sie an einem Tisch im Schatten einer Laube auf der Rückseite ihres kleinen Steinhauses Platz nehmen. Ihr warmer Gesichtsausdruck machte sie Sennar sogleich sympathisch.
»Das ist also der junge Mann, der unbedingt sterben will«, eröffnete Moni das Gespräch, indem sie Sennars Hand ergriff.
Sie sprach eine dem Magier verständliche Sprache, jedoch mit einem Tonfall, der ihm aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen schien. Die Aussprache der Worte und der Rhythmus ihrer Sätze erinnerten Sennar an die antiken Balladen, die Bänkelsänger in früheren Zeiten auf Festen vorgetragen hatten. Es war die Sprache der Aufgetauchten Welt, jedoch so, wie sie rund zweihundert Jahre zuvor gesprochen wurde.
»Ich will ja gar nicht sterben. Aber ich habe eine Mission zu erfüllen«, antwortete Sennar verwundert.
Die Frau lächelte. »Auch das weiß ich. Ich kann es sehen. Du bist ein Magier mit einem reinen Herzen.«
»Woher weißt du das alles?«
Die Frau ließ seine Hand los. »Ich besitze die Gabe der Weissagung. Oder vielleicht sollte ich eher ›Strafe‹ sagen? Seit ich denken kann, öffnen sich vor meinen Augen die Tore von Zeit und Raum und zeigen mir Bruchstücke der Zukunft und der Vergangenheit.« Moni beugte sich zu Sennar vor und blickte ihn fest an. »Als wir vor dreihundert Jahren hierher gelangten, hatten wir noch alle das Grauen vor Augen, das wir hatten mit ansehen müssen. Doch die Hoffnung leitete uns.«
»So wart Ihr unter jenen, die die Aufgetauchte Welt verließen?«, staunte Sennar. »Ja, wir sind jene, die der Aufgetauchten Welt den Rücken kehrten. Du bist noch jung und kannst nicht wissen, wie das damals war: eine Hölle, in der ganze Länder der Machtgier Einzelner zum Opfer fielen. Wir waren Kinder, und Krieg ließ unsere Lebenslust erlahmen, nahm uns unsere Jugend. Diese Machtgier widerte uns an, wir wollten nicht mehr kämpfen, wollten niemanden mehr sterben sehen. Wir entstammten verschiedensten Ländern und Völkern, die sich gegenseitig bekriegten, aber ein tiefes Verlangen einte
Weitere Kostenlose Bücher