Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
doch schon! Warum da noch Kopf und Kragen riskieren? Lasst uns den Zauberer lieber über Bord werfen und nach Hause segeln.«
Rool jedoch hatte ihnen den Kopf zurechtgerückt. »Sennar hat uns das Leben gerettet, und nun bringen wir ihn bis zu diesem Krater. So ist es abgemacht, und daran halte ich mich auch.« Nach rund zweiwöchiger Fahrt bemerkten sie eines Morgens, dass das Meerwasser um sie herum seltsam dickflüssig war und mehr und mehr von violetten Schlieren durchzogen wurde, die zunächst noch verschwommen waren, dann immer deutlicher und kompakter wurden. Trotz des heftigen Windes verlor das Schiff rasch an Fahrt, bis es fast ganz zum Stillstand kam. »Holt die Segel ein, verflucht noch mal«, brüllte Rool, »und bringt mir den Magier her.« An Bord schien alles stillzustehen. Die gesamte Mannschaft war an der Reling versammelt und starrte auf dieses violette Magma.
»Was ist das?«, fragte Rool, als Sennar neben ihm stand. »Ich weiß es nicht, Kapitän«, murmelte er.
»Denk mal scharf nach. Das muss wieder so ein tückischer Zauber sein.«
Sennar schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, was das für ein Zauber sein könnte.« »Und was sollen wir tun?«
Hätte Sennar eine Antwort gewusst, hätte er nicht mehr Zeit genug gehabt, sie auszusprechen. Denn plötzlich bewegte sich das Schiff wieder, und ein erregtes Murmeln durchlief die Besatzung. Ein Ruck vorne, und sogleich einer hinten. Trotz der eingeholten Segel nahm das Schiff wieder Fahrt auf, so als treibe eine steife Brise es vom Heck her an. Und das ganze Meer um sie herum verwandelte sich in eine einzige glitschige, blubbernde Masse.
Unter dem Kiel war der Schlamm fester geworden und zeigte sich nun als das, was er tatsächlich war: eine lederne Haut.
Sennar erinnerte sich an Monis Worte: ein unheimlicher Wächter auf dem Kurs zum Krater. Und er verstand. Ein Seeungeheuer. Häufiger schon hatte er darüber gelesen, aber immer geglaubt, dass es sich um Märchenwesen handele: abstruse Geschöpfe von unbeschreiblichen Ausmaßen, die in den größten Meerestiefen zu Hause waren und für alle Schiffe eine tödliche Gefahr bedeuteten. Auf eine solche Bestie waren sie gestoßen. Vielleicht hatte ihr ein Magier aus der Untergetauchten Welt durch irgendeinen Zauber auferlegt, den Weg zu ihrem Reich zu bewachen.
Das Ungeheuer, oder vielleicht sogar nur ein Teil von ihm, zeigte sich in seinem ganzen Schrecken: eine unförmige Masse, viermal so groß wie das Schiff und keinem jemals von ihnen gesehenen Lebewesen ähnlich, eine immense, runde Fläche aus Fleisch mit einem stinkenden Schlund in der Mitte. Auf diesem Leib fuhren sie dahin, und wohin sie den Blick auch wandten, nichts anderes war zu erkennen.
Um den Schlund herum ging das Violett des Fleisches in noch dunklere Töne über: Es war ein riesengroßes, mit langen Zähnen besetztes Maul, aus dem widerlichste Modergerüche drangen. Tief darin erkannte man halbverdaute Fische, Baumstämme, Überreste von Schiffen. Und dann Kadaver und Schädel von Menschen und ähnlichen Geschöpfen, die die Meeresströme dorthin getragen hatten. So endeten also jene, die im Sturm, der die Vanerien schützte, Schiffbruch erlitten.
Um sie herum gab es keine Wellen mehr, kein Wasser und - kein Entrinnen.
Ein dumpfes Brüllen erfüllte die Luft, und riesengroße, mit Saugnäpfen besetzte Tentakel erhoben sich und wanden sich gen Himmel. Einen Augenblick lang schienen sie die Sonne zu verfinstern. Dann schlugen sie über dem Schiff zusammen.
Panik brach aus. Schon zerbarst ein Mast und schlug krachend auf das Deck. In das Heulen der getroffenen Piraten mischten sich Rools Kommandos, Aires' Entsetzensschreie und die Anfeuerungsrufe von Benares.
»Tu doch etwas!«, schrie Dodi, an Sennar gewandt.
Sennar war nicht weniger entsetzt als die anderen. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber es wollte ihm nicht gelingen.
Mit einer unnatürlichen Geschwindigkeit schoss der Segler dahin, während sich die Muskeln des Ungeheuers unter der violetten ledernen Haut immer rascher und kräftiger zusammenzogen. Je mehr sie sich dem aufgerissenen Rachen des Ungeheuers näherten, desto ohrenbetäubender klang sein hungriges Brüllen und verband sich mit dem panischen Geschrei der ganzen Besatzung zu einer grotesken Melodie.
Sennar klammerte sich am Hauptmast fest und befahl sich ohne Erfolg, Ruhe zu bewahren. Sein Herz hämmerte laut und raste wie von Sinnen. Verzweifelt suchend blickte er sich nach dem Kapitän
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