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Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers

Titel: Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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breite Brustkorb, die mächtigen, groben Hände und der Stiernacken. Die obere Hälfte seines Kopfes war kahl und glänzte, und die wenigen ihm verbliebenen Haare waren, wie in Zalenia Mode, mit einem Seidenband zu einem dünnen Pferdeschwanz gebunden. Mit seinen entschlossenen Gesichtszügen wirkte er wie eine mit wenigen kräftigen Schlägen aus dem Stein gehauene Statue. Er saß thronend auf einem erhöhten Sessel und wirkte gelangweilt. Sein ausdrucksloser Blick schweifte über die Menge zu seinen Füßen: Eine weitere nervtötende Veranstaltung, ein weiterer Tag voller kleinlicher Beschwerden und Dorfgezänk erwartete ihn.
    Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da er an seine Aufgabe geglaubt hatte, da er überzeugt gewesen war, in seinem Amt etwas verändern zu können. Er war damals ein optimistischer junger Mann gewesen und hatte davon geträumt, seine Untertanen zu denkenden Individuen zu formen, die ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nahmen und sich sogar selbst regieren konnten wie es früher einmal die Regel gewesen war. In jener Zeit hatte er versucht, solche Audienzen zur Erziehung des Volkes zu nutzen. Doch alle Bemühungen waren an der Gleichgültigkeit der Leute gescheitert, die sich fragten, warum er sich bloß so lange mit seinen Entscheidungen aufhielt und nicht kurzerhand, so wie seine Vorgänger, begnadigte oder Urteile verhängte. Nein, diese Leute strebten nicht nach Freiheit. Sie wollten kommandiert werden, wollten jemanden über sich wissen, vor dem sie das Knie zu beugen hatten. Jemanden, der ihnen die Last abnahm, den eigenen Kopf zu gebrauchen. Irgendwann hatte er es aufgegeben und sich zu dem gewandelt, was seine Untertanen verlangten: einem Despoten.
    Am diesen Nachmittag hatte er bereits einige Nachbarschaftsstreitereien um Grundstücksgrenzen sowie einen Familienzwist um ein kümmerliches Erbe geschlichtet und einige Ehefrauen angehört, die Gnade für ihre verurteilten Männer erflehten.
    Jetzt gab der Graf dem Herold ein Zeichen, der vortrat und rief: »Die Audienz ist beendet! Zerstreut euch! Die Audienz ist beendet!«
    »Wartet! Wartet! Ich bitte Euch, hört mich an!«, schrie da eine Frauenstimme und verstummte nicht eher, bis der Graf aufmerksam geworden war.
    Jemand versuchte, sich durch die Leute einen Weg nach vorne zu bahnen.
    Langsam teilte sich die Menge, und der Graf erblickte ein zierliches Mädchen. Wo sie näher kam, wichen die Versammelten angewidert zurück: Sie war eine Neue.
    »Tritt nur vor«, ermunterte sie der Graf.
    Er erlebte es zum ersten Mal, dass eine so junge Person bei einer Audienz um Gehör bat. Sie hätte seine Tochter sein können. Das Mädchen hatte jetzt den Marmorblock erreicht, auf dem sein Sessel stand, während die Menge in einer bleiernen Stille versank.
    »Mein Name ist Ondine, ich stamme aus Eressea, einer Stadt in der Nähe des Kraters«, keuchte sie. »Ich bin gekommen, um Eure Gnade zu erflehen für einen zum Tode Verurteilten.« Der Graf sah, dass sie zitterte. »Ein Familienangehöriger?«
    »Nein, Herr. Ein Gefangener.«
    »Und worin besteht sein Vergehen?«
    Das Mädchen zögerte. Dort unten zu Füßen des Thrones sah Ondine noch zierlicher aus, als sie es ohnehin schon war. »Es ist jemand ... von oben, Herr«, sagte sie dann mit kaum vernehmlicher Stimme.
    Die Umstehenden wichen noch weiter von ihr zurück, und die Menge begann aufgeregt zu tuscheln. Der Graf legte die Stirn in Falten.
    »Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um zu uns zu gelangen«, fuhr Ondine tapfer fort. »Es ist ein junger Mann, ein Gesandter ...«
    »Hat er dir auch gesagt, was er hier will?«
    »Ja, Herr. Ein Tyrann ist dabei, sich die gesamte Aufgetauchte Welt einzuverleiben. Der junge Gesandte meint, er könnte versuchen, seine Herrschaft sogar bis zu uns auszudehnen.«
    Der Graf lächelte. »Mein liebes Mädchen, hat dir noch niemand gesagt, wie verschlagen die von oben sind?«
    »Ja, Herr Graf«, stieß Ondine hervor. »Ich weiß schon, Ihr denkt, dass ich nur ein unbedarftes Mädchen bin. Aber dieser Mann hat nichts Böses getan. Er verlangt nicht mehr, als mit Euch sprechen zu dürfen. Und er trug mir auf, Euch dies hier zu zeigen.«
    Sie griff unter ihr Gewand und holte ein Medaillon hervor, das ihr der Herold sofort aus der Hand riss, um es dem Grafen zu reichen.
    Auf einer Seite war ein großes Auge eingraviert, auf der anderen ein Symbol, das der Graf sogleich als Wappen des Lands des Windes erkannte. Er hatte es nicht vergessen: Seine Vorfahren

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