Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
fadenscheiniger Beweise vor. Debars Eltern wurden gelyncht, seine Schwester vergewaltigt, er selbst wurde lebensgefährlich verletzt, konnte aber fliehen. Als Ido von den Anschuldigungen erfuhr, hatte er noch versucht, das Unheil abzuwenden und eine, wie er überzeugt war, schreiende Ungerechtigkeit zu verhindern. Doch es war zu spät gewesen. »Ich erinnere mich sehr genau an ihn«, sagte er traurig. »Sein Tod belastet das Gewissen der Bewohner der Freien Länder.«
»Debar ist nicht tot«, erklärte Rais mit rauer, kräftiger Stimme. »Debar nennt sich jetzt Deinoforo.«
Ido erstarrte. Das konnte unmöglich wahr sein. Wie ließ sich das Bild dieses freundlichen Jungen mit dem des erbarmungslosen Ritters im Dienste des Tyrannen, gegen den er zweimal gekämpft hatte, in Einklang bringen? »Du lügst«, sagte er kaum vernehmbar. »Wie kannst du nur so etwas behaupten?«
Erneut zuckte die Greisin zusammen und schwieg dann einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Es war vor vielen Jahren, noch bevor ich die Wahrheit über Sheireen entdeckte und das Medaillon fand, da wurde ich von einem Ritter der Schwarzen Drachen gefangen genommen und auf die Feste des Tyrannen gebracht. Auf dem Weg dorthin sah ich ihn eines Abends ohne Helm und erkannte Debars Gesicht wieder. Dieser Ritter war, wie du mittlerweile verstanden haben wirst, Deinoforo.« Rais zitterte, sie schien unruhig.
Ido seinerseits konnte einfach nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Zu vieles passte da in der Erzählung der Greisin nicht zusammen. »Was hast du gemeint, als du Soana gegenüber vom deinem Schicksal sprachst?«, fragte er. »Und was wollte der Tyrann von dir?«
»Gar nichts«, wehrte Rais ab.
»Wozu ließ er dich dann von einem Drachenritter auf seine Feste bringen ...?« »Das hat nichts mit den Dingen zu tun, die du herausfinden wolltest. Das geht dich nichts an.«
»Warst du seine Gefangene?«, ließ Ido nicht locker.
»Kurze Zeit. Dann konnte ich fliehen.«
»Aus den Verliesen der Feste gibt es kein Entrinnen. Dies ist ein Ort des Todes.« Rais' milchige Augen rollten, so als suche sie nach einem Ausweg.
»Was hast du auf der Feste gesehen? Warum willst du es mir nicht sagen?«, schrie Ido fast. Unwillkürlich führte er seine Hand an das Heft seines Schwertes. Wenn diese Megäre etwas über den Tyrannen wusste, würde er es auf alle Fälle in Erfahrung bringen.
»Wage es nicht, mir zu drohen!«, rief die Greisin.
Ido zog seine Waffe. »Was weißt du über den Tyrannen?«, fragte er jetzt ruhiger, wobei er jedes einzelne Wort betonte. Rais antwortete nicht. Da steckte er die Waffe zurück und ging gelassenen Schritts zur Tür. Er hatte fast den Ausgang erreicht, als er sich noch einmal umdrehte. »Gleich morgen werde ich mich an den Rat der Magier wenden. Ich lasse nicht zu, dass das Schicksal der Aufgetauchten Welt in den Händen einer Verräterin liegt.«
Zu Idos größter Verwunderung begann die Alte zu weinen. »Warum zwingst du mich, Dinge hervorzuholen, die ich tief in meinem Herzen begraben hatte? Warum willst du wissen, welche Schuld ich auf mich geladen habe?«
Rais schluchzte, doch Ido kannte kein Mitleid. Er spürte, dass etwas Finsteres von ihr ausging, etwas Niederträchtiges, jener Hass, von dem Soana ihm erzählt hatte. »Sprich«, forderte er sie in strengem Ton auf, während er zum Tisch zurückkehrte. Rais blickte ihn aus ihren vom Weinen geröteten Augen an. »Uber meine Vergangenheit zieht sich ein langer Schatten, der mir wie eine tödliche Krankheit meine Lebensfreude nahm.«
Sie stand auf und entnahm einem Glas einige Kräuter, setzte sich wieder, entfachte mit einer Handbewegung ein blaues Feuerchen in dem Kohlebecken und gab die Kräuter hinein. Dichter blauer Rauch stieg auf, den Rais mit ruhiger Hand lenkte. Nach und nach zeichnete sich das Gesicht eines jungen Mädchens im Rauch ab. Trotz der verschwommenen Umrisse erkannte man ihre betörende Schönheit. Sie war eine Gnomin. Erst nach einigen Augenblicken wurde Ido klar, dass es sich um Rais handeln musste, und er betrachtete daraufhin erschüttert die Greisin vor sich, deren Antlitz die Jahre zerstört hatten.
»Ich sah nicht immer so aus, wie du mich heute siehst«, erklärte in der Tat die Magierin nun. »Früher bot ich einen erfreulicheren Anblick. In jener Zeit lernte ich Aster kennen, einen wunderschönen Jüngling, der allem Guten zugetan schien. Er war Ratsmitglied wie mein Vater, und ich verliebte mich Hals über Kopf in seine strahlende
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