Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
nicht bewiesen, dass die Voraussetzungen dazu nicht gegeben sind?« »Vergiss diesen rückgratlosen Schwächling, der hier jammernd im Saal stand«, erwiderte Ido, das Haupt weiterhin gesenkt. »Der ist tot und begraben. Ich habe trainiert und hart gearbeitet in den letzten Monaten, und jetzt spüre ich, dass ich wieder der Krieger früherer Tage bin. Was die mir anvertrauten Soldaten angeht, so ist mein Fehler unentschuldbar. Unter diesen Umständen war es noch milde, mich nur auf unbestimmte Zeit zu beurlauben. Daher danke ich dir jetzt, dass du die Tür nicht ganz zugeschlagen hast.«
»Glaub nicht, dass du mich mit dieser gespielten Unterwürfigkeit dazu bewegen kannst, meine Entscheidung rückgängig zu machen!«
Endlich hob Ido den Kopf und blickte Raven direkt in die Augen. »Das ist keine gespielte Unterwürfigkeit. Du müsstest mich gut genug kennen, um das zu wissen. Ich habe mich noch nie erniedrigt, aus keinem Grund der Welt, und werde es auch jetzt nicht tun.«
Raven und Ido starrten sich eine Weile an.
»Ich kann dir kein Kommando anvertrauen«, erklärte der Oberste General schließlich. »Das verstehe ich voll und ganz.«
»Es hat nichts mit Grausamkeit zu tun, dein Fehler war einfach zu folgenschwer.« »Ich bitte dich nur darum, wieder in die Schlacht ziehen zu dürfen. Du weißt, dass ich ein hervorragender Kämpfer bin, und ebenso gut weißt du, dass der Verlust eines Auges meine Fähigkeiten nicht notwendigerweise beeinflussen muss.« »Du wurdest aber hier in diesem Saal von mir besiegt.«
»Ich habe hart trainiert. Frag Parsel, der hat mir geholfen. Gib mir noch eine Chance, und ich werde dich nicht enttäuschen.«
Raven schwieg einige Augenblicke. »Gut, einverstanden. Du kämpfst also im Land der Sonne unter dem Kommando von General Londal. Es ist eine Chance, Ido, nur eine Chance. Nutze sie, eine weitere erhältst du nicht.«
Ido beugte wieder das Knie. »Ich danke dir«, murmelte er.
Raven trat auf ihn zu. »Ich muss zugeben: Ich bin mir deines Wertes bewusst. Und heute hast du mir eine Kostprobe davon gegeben«, murmelte er.
Dann drehte er sich um und verließ den Saal.
Die feindlichen Reihen vor sich. Vesas zitternder Leib zwischen seinen Beinen. Das Schwert in der Hand. Anstelle des Nieselregens wie bei seiner letzten Schlacht lag heute ein hartnäckiger feiner Nebel über dem Feld. Ido hielt nicht nach Deinoforo Ausschau. Er würde ihm noch einmal begegnen, das wusste er, und an jenem Tag würden sie ihre offenen Rechnungen ein für alle Mal begleichen. Er stand in den hinteren Reihen, aber darauf kam es nicht an. Was zählte, war nur, dabei zu sein, um einen neuen Anfang zu wagen, um sagen zu können: Heute wurde ich ein zweites Mal geboren. Er schloss sein Auge und sah die Männer vor sich, die er beim letzten Mal in den Kampf geführt hatte. Auch sie verlangten nach einer Wiedergutmachung, und er würde sie nicht enttäuschen. Sein Herz schlug ruhig, sein Geist war konzentriert. Als der Befehl zum Angriff kam, war er vorbereitet. Vesa breitete seine gigantischen Flügel aus, und kurz darauf spürte Ido schon den kalten Wind im Gesicht. Als der erste Feind vor ihm auftauchte, hatte er keinerlei Schwierigkeiten, ihn niederzumachen. Dann ein leichtes Rascheln, ein kaum merklicher Luftzug. Er drehte sich um, stieß zu und traf den Gegner, der ihn gerade von hinten angreifen wollte.
Ja, es war alles so wie früher.
31. Das Lied der toten Stadt
Nihal und Sennar ließen sich zu einer kurzen Rast nieder, und die Halbelfe nutzte die Gelegenheit, um den Talisman nach der Richtung zu fragen, die sie einschlagen mussten. Jedes Mal, wenn sie ihn unter ihrem Leibchen hervorholte, schien er stärker zu strahlen. Die Farben der Edelsteine leuchteten kräftiger und erhellten das Dunkel der Nacht. Die Macht des Amuletts war gewachsen, das spürte sie.
Sie schloss die Augen, und die Vision war so deutlich, wie sie es noch nie erlebt hatte. Und was sie sah, machte sie sprachlos. Es war ein Wald, oder zumindest sah es auf den ersten Blick so aus, doch die Vegetation war von einer eigentümlichen Farbe, wie Erde oder Fels. Nihal konzentrierte sich noch stärker: Es handelte sich um einen versteinerten Wald mit Büschen, Bäumen, Blättern, sogar einigen Blumen, alles aus Stein.
Als sie die Augen öffnete, schien noch ein Teil der Vision in ihren Pupillen erkennbar, denn Sennar schaute sie staunend an. »Was hast du gesehen?«, fragte er. »Etwas ganz Außergewöhnliches«, antwortete sie
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