Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
doch in diesem Moment hasste sie ihre Mission und den Talisman, der schwer an ihrem Hals hing. Wenn Sennar in ihrer Abwesenheit etwas zustieß, würde sie sich das nie verzeihen.
Nachmittags versuchten beide, sich nichts anmerken zu lassen, obwohl der Schmerz des bevorstehenden Abschieds in der Luft lag, greifbar war. Sennar bemühte sich, fröhlich zu erscheinen, doch Nihal wusste, dass er Angst hatte und sie am liebsten zurückgehalten hätte. Dann wurde es Abend.
»Hier, nimm«, sagte Sennar, als sie zum Aufbruch bereit war. In der Hand hatte er Livons Dolch, jene Waffe, über die sie sich kennengelernt hatten.
Als Nihal ihn erblickte, begriff sie, dass sie sich nun wirklich trennen würden, und brach in Tränen aus. »Warum willst du ihn mir geben?«, schluchzte sie. Sennar lächelte. »Sei nicht dumm ... Wovor hast du Angst? Nicht weinen ...« Er trocknete ihr eine Träne. Dann zog er den Dolch aus dem Futteral, und Nihal sah, dass die Klinge in einem weißen Licht erstrahlte. »Ich habe ihn mit einem Zauber belegt: Solange die Klinge leuchtet, geht es mir gut, und das Licht zeigt dir auch, wo ich bin.« Nihal nahm den Dolch entgegen und tauschte ihn mit jenem, den sie im Stiefel trug und mit dem sie Dola fast getötet hätte. »Dann behalte du diesen hier und benutze ihn, wenn es nötig ist«, sagte sie, während sie ihm den anderen Dolch reichte. Sie nahm Sennar in den Arm und überhäufte ihn mit Küssen. »Du darfst nicht sterben, Sennar, ich bitte dich, du darfst nicht sterben!«
»Du auch nicht ...«, sagte der Magier und gab ihr einen letzten, langen Kuss. Als er sich endlich von ihr löste, sah Nihal, dass auch er weinte.
»Nihal, sollte ... sollte ich zur letzten Schlacht nicht da sein solltest du mich nicht im Hauptlager antreffen dann suche mich nicht, bevor du nicht den Tyrannen besiegt hast. Aber es wird mir nichts zustoßen, du wirst sehen ... Ich warte im Hauptlager auf dich«, schloss er mit einem Lächeln.
Nihal stand auf und entfernte sich durch den Gang, der ins Freie hinausführte. Sie drehte sich nicht um, denn sie wusste, täte sie es, würde sie zu ihm zurücklaufen. Nach nur wenigen Schritten hatte die Einsamkeit sie schmerzhaft im Griff.
Die letzte Schlacht
34. Mawas oder Vom Opfer
Geschwind bewegte sich Nihal durch eine dunkle, sternenlose Nacht. Noch nie war ihr die Stille so bedrückend vorgekommen. In den ersten Tagen war sie oft versucht gewesen, den Dolch hervorzuholen und zu sehen, ob er strahlte, ob ihre Wanderung überhaupt noch einen Sinn hatte. Viele Male hatte sie ihn in Händen gehalten, hatte hin und her überlegt und ihn schließlich doch wieder zurückgesteckt. Wozu ihn anschauen? Hätte sie festgestellt, dass die Klinge erloschen, Sennar also tot oder ihm etwas zugestoßen war, wäre alles aus gewesen. Es war sinnlos, Bescheid zu wissen. Sie musste weitermachen, weiter ihren Weg gehen, nur an das denken und sich darauf freuen, was sie erwartete, wenn der Tyrann endlich bezwungen war.
Nach acht Tagen gelangte sie in einer Neumondnacht an die Grenze zum Land des Windes. Es war stockdunkel, und um überhaupt etwas zu sehen, musste sie sich mit einem kleinen Zauber behelfen in der Hoffnung, dass niemand darauf aufmerksam wurde. In der Luft lag der Geruch der Steppe, wie sie ihn aus ihrer Kindheit kannte, und sie zögerte. Sie schickte sich an, in ein Land zurückzukehren, das ihre wertvollsten und ihre schmerzhaftesten Erinnerungen barg, jenes Land, in dem sie aufgewachsen war, wo sie Sennar kennengelernt hatte, wo vor mehr als drei Jahren Livon umgebracht und Salazar dem Erdboden gleichgemacht worden war. Sie zitterte bei dem Gedanken daran, wie es nun zugerichtet sein mochte, es wäre ihr lieber gewesen, nicht hindurchzumüssen und es so schön in Erinnerung zu behalten, wie sie es immer erlebt hatte.
Grob geschätzt musste sie sich im südlichen Bannwald befinden, und im fahlen Licht des Morgengrauens sah sie dann, was davon übrig war. Fast alle Bäume waren abgestorben oder ganz abgeholzt, sodass sie den Blick gut eine Meile weit schweifen lassen konnte. Früher, als Kind, hatte der Wald sie eingeschüchtert, weil er so dicht war, dass sie kaum eine Hand weit sehen konnte und sich alles in einem einzigen grellgrünen Farbton auflöste. Wem hätte dieser Wald heute noch Angst machen können? Das Gesicht auf den Knien, hockte Nihal am Boden und spürte, wie die ganze Last der Einsamkeit auf sie einstürzte, während die Sonne aufging und nach und nach dieses
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