Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
rhythmisch über ihm vibrierende Erdboden kam ihm wie ein fernes, undeutliches Echo vor. Als das Geräusch stärker wurde, lag der Magier immer noch im Halbschlaf. Erst das Schleifen von Schwertern, die aus der Scheide gezogen wurden, weckte ihn, und sofort spürte er die Gefahr. Er fuhr hoch. Feinde. Und ein Magier.
Im Nu wurde ihm klar, wie töricht und vergeblich seine Hoffnung gewesen war. Der Heilzauber hatte nur dazu geführt, die Feinde auf ihn aufmerksam zu machen. Die entsetzliehen Schmerzen im Bein ignorierend, stand er hastig auf und versuchte eine aussichtslose Flucht tiefer in die Höhle hinein.
Da waren sie. Vier Fammin und zwei Männer. Einer der beiden war ein Zauberer. Mittlerweile stand Sennar mit dem Rücken an der Felswand.
Es ist aus.
Er ließ sich zu Boden sinken. Der feindliche Magier brauchte noch nicht einmal einen Angriffszauber anzuwenden. Gemächlichen Schrittes trat er auf Sennar zu und stellte ihm einen Fuß auf das verwundete Bein. Der Schmerz war unerträglich, und Sennars Schrei übertönte noch das Hohngelächter des Mannes.
Dann schoss ein violetter Blitz aus der Hand des fremden Magiers, und um Sennar herum wurde alles dunkel.
Nihals Weg führte in westliche Richtung weiter, und die Halbelfe fand sich in einem Teil des Bannwaldes wieder, in dem sie noch nie gewesen war. Jetzt erinnerte sie sich an die Worte, die Soana vor langer Zeit zu ihr gesagt hatte.
Das Herz des Bannwaldes gehört nicht den Lebenden, sondern den Geistern. Es ist ein heiliger Ort, den kein Bewohner der Aufgetauchten Welt, gleich welcher Rasse, betreten darf. Dort ruht das verborgene Leben des Waldes, und dies ist ein Geheimnis, das sogar die allermächtigsten Zauberer nicht ganz ergründen können. Denn es gibt Kräfte auf dieser Welt, die jedes Vorstellungsvermögen übersteigen und niemals von irgendjemandem beherrscht werden können.
Dieser Teil des Bannwaldes war weniger zerstört. Die Bäume standen noch, und gelbliche Blättchen färbten zaghaft die Zweige. Nihal spürte, dass das Ende ihrer Reise nahe war. Hier musste das Heiligtum liegen.
Plötzlich hatte sie ein völlig unerwartetes, aufsehenerregendes Bild vor Augen: ein riesengroßer Baum, den man zunächst für eine Eiche halten mochte. Kräftige Äste hoben sich majestätisch gegen den dunklen Himmel ab. Seine unzähli gen goldgelben Blätter glitzerten in der Finsternis. Dieser Baum lebte, umgeben von einem Meer des Todes, gesund und mächtig.
Es war kein normaler Baum: Er schien kein Leben aus der Erde zu saugen, sondern dieser Leben zu schenken. Dort, wo die Wurzeln in den Boden eindrangen, wuchs dichtes, sattgrünes Gras. Eine Weile stand Nihal voller Bewunderung da und spürte dabei, dass im Grunde doch noch nicht jede Hoffnung gestorben war, wenn sich solch eine Pracht an diesem Ort erhalten hatte. Erst nach und nach ging ihr auf, dass es sich um einen Vater des Waldes handeln musste. Eine andere Erklärung gab es nicht. Sie erinnerte sich, wie ihr solch ein Baum im Kampf gegen Dola beigestanden hatte, und erkannte hier die gleiche Kraft, die gleiche erschreckende Gewalt, die gleiche Vitalität wieder. Wenn der Vater des Waldes lebte, dann war der ganze Wald noch nicht verloren. Solange dieses gigantische Herz weiter schlug, würde es noch Hoffnung geben für das Land des Windes.
Staunend trat Nihal auf den Baum zu und entdeckte etwas, was ihr zuvor nicht aufgefallen war. Auf einem der unteren Äste hockte ein winziges, leuchtendes Wesen. Die Halbelfe sah genauer hin, und als sie erkannte, um wen es sich handelte, jubelte sie. Endlich ein vertrautes Gesicht.
»Phos!«, rief sie und rannte zu ihm hin.
Phos bewegte sich nicht von seinem Platz, bedachte sie jedoch mit einem sanften Lächeln. »Willkommen zurück, Nihal«, sagte er.
»Nun, willst du mich nicht begrüßen kommen?«, wunderte sich Nihal. Es war zweifellos Phos, und doch schien er nicht er selbst zu sein, zu ernst wirkte er für ihren kleinen Freund, zu betrübt, zu melancholisch. Der Kobold hatte immer so lustig ausgesehen, mit seinen überlangen Ohren, dem zerzausten grünen Haar, den sirrenden bunten Flügeln. Jetzt jedoch wirkte er feierlich und gefasst. Es war Phos, und gleichzeitig auch nicht.
»Ich habe auf dich gewartet, Sheireen«, sagte er, wobei er weiter auf seinem Ast sitzen blieb.
Nihal erstarrte. Der Talisman auf ihrer Brust strahlte so hell wie noch nie. »Wieso weißt du ...?«
»Wie gesagt, ich habe dich erwartet«, antwortete er.
Nihal begann zu
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