Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
»Unsere Welt ist in Auflösung begriffen. Die Halbelfen werden sich nicht aus ihren Gräbern erheben, meine Gefährten nicht zurückkehren, der Bannwald ist zerstört, und Tausende Väter des Waldes werden nicht ausreichen, um ihm seine frühere Pracht zurückzugeben. Etwas muss sterben, damit Neues entstehen kann.« Nihal verstand nicht und beschränkte sich darauf, Phos fragend anzuschauen. »Aus dem Tod des Samenkorns wächst der Baum«, erklärte der Kobold, »und aus den abgestorbenen Blättern bildet sich die neue Pflanze. Unaufhörlich stirbt etwas in der Natur, damit anderes wachsen kann. Diese Welt muss sterben, damit aus ihrer Asche etwas anderes entsteht. Ich gehöre zur alten Welt und mit mir dieser Wald; wir können hier nicht mehr leben, denn alles, was zu uns gehörte, ist untergegangen.« »Auch ich bin Teil der alten Welt, es gibt keine Halbelfen mehr, und viele, die ich geliebt habe, mussten sterben«, erwiderte Nihal.
Phos schüttelte den Kopf. »Nein, Nihal, du bist wie eine Brücke zwischen der Welt, die stirbt, und jener neuen, die daraus entstehen wird. In deinen Händen liegt der Schlüssel zu unserer Wiedergeburt. Niemand weiß, ob du stark genug bist, die Tore aufzustoßen, hinter denen die Zukunft liegt, aber du bist die Einzige, die es überhaupt schaffen kann. Aus den Trümmern, die deinen Weg pflasterten, wird sich ein Phönix erheben, und den Geschöpfen dieser Welt wird eine zweite Chance gewährt. Dann liegt es bei ihnen, ob sie daraus eine Epoche des Friedens schaffen oder wieder eine des Krieges. Du bist die Trägerin dieser Chance, du schickst dich an, den Geschöpfen unserer Welt diesen Neuanfang zu schenken. Es ist eine schwierige Aufgabe, deretwegen du schon viel gelitten hast und noch mehr wirst leiden müssen.« Nihal war nicht danach, auf diese Worte einzugehen, und vergaß sie lieber, um sich nicht über ihre volle Bedeutung klar werden zu müssen. »Wo ist das Heiligtum?«, fragte sie stattdessen.
»Vor deinen Augen«, sagte Phos. Er flatterte auf.
Nihal betrachtete den Baum und begriff, dass er das Heiligtum war. Seine enorme Kraft hatte sie vom ersten Anblick an gespürt.
Phos trat auf den Stamm des Baumes zu und vollführte eine Handbewegung. Sofort zog sich das Holz zurück, und ein strahlend hell glitzernder, weißer Edelstein, der in seinem Innern verborgen war, kam zum Vorschein.
»Was du jetzt zu tun hast, Nihal, wird dir nicht gefallen. Doch bedenkst du die Dinge, von denen ich gerade sprach, wirst du erkennen, dass es keinen anderen Weg gibt.« Nihal blickte ihn besorgt an.
»Du siehst ihn vor dir im Vater des Waldes, Mawas, den letzten Edelstein. Er bringt jene Tränen hervor, von denen ich dir Vorjahren eine schenkte. Er ist das Herz dieses Baumes, das, was ihn am Leben erhält. Und du musst ihn dir nehmen.« »Aber was wird dann aus dem Vater des Waldes, wenn ich ihm das Herz herausreiße?« »Würdest du ihm den Edelstein nur für kurze Zeit entziehen, brächte ihn das nicht um. Aber damit du weiterleben kannst, musst du, nachdem du den Zauber gegen den Tyrannen gesprochen hast, den Talisman zerschlagen. Und damit werden alle Steine zerstört, einschließlich Mawas, und der Vater des Waldes wird sterben.«
»Und was wird aus dem Bannwald?«, fragte Nihal. »Mit dem Vater des Waldes würde ja auch dieser Wald sterben und sich nie mehr erholen können.«
»Siehst du nicht, der Bannwald ist bereits tot.«
Nihal schüttelte den Kopf. »Das kann ich unmöglich tun. Ich weigere mich«, sagte sie. »Zu viele Tote bleiben zurück auf meinem Weg, den ich als einzige Überlebende zu gehen habe. Das müsse so sein, wird mir immer wieder gesagt, damit ich schließlich diese Welt befreien könne. Doch der Preis ist zu hoch. Der Vater des Waldes gab mir die Träne, die mir so oft beistand, und er beschützt diesen Ort, den ich so liebte. Ich kann ihm nicht das Leben nehmen.«
Phos baute sich in Höhe ihres Gesichts vor ihr auf. »Du hast es wohl noch nicht verstanden? Nichts auf dieser Welt lässt sich ohne Leiden erwerben. Damit Rettung möglich ist, muss sich jemand opfern.«
»Aber es sind doch immer andere, die sich opfern!«, rief Nihal. Sie fiel auf die Knie. »Laio ist gestorben, damit ich mir den Stein im Land der Nacht holen konnte, Sennar riskiert im Land des Meeres sein Leben und ist in großer Gefahr! Ich will keine weiteren Opfer! Ich habe es satt, immer wieder Blut, Tod, Waffen ...«
Mitleid zeichnete sich in Phos' Gesicht ab, und mit dem
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