Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Jauche aus den Fammin-Städten, die über Flüsse und Bäche in den Waldboden gelangt war. Jedenfalls war vom Bersith-Wald nur noch ein stinkendes Sumpfgebiet übrig geblieben.
»Es ist nicht mehr weit«, murmelte Nihal, während die langen Schatten schon von der Dunkelheit kündeten.
Der Untergrund, auf dem sie sich bewegten, wurde nun immer weicher, und die verhassten Fammin-Städte, an denen sie vorübergekommen waren, verschwanden hinter dem Horizont. Vor ihnen breitete sich jetzt nur noch dunkler, von fauligem Wasser getränkter Boden aus.
Gleichzeitig blitzten vor Nihals geistigem Auge, begleitet vom quälenden Gemurmel der Stimmen, wirre Bilder auf: jahrhundertealte Bäume, zwischen deren Zweigen die Sonnenstrahlen ihr neckisches Spiel trieben, der Glanz einer wundervollen Stadt mit prächtigen Marmorbauten, über der sich majestätisch weiß der königliche Palast mit seinem imposanten kristallenen Turm erhob.
In diesem Moment erhellte allerdings kein Lichtschein das Dunkel der Nacht. Dennoch: Dort lag Seferdi, dessen war sich Nihal sicher.
Plötzlich blieb die Halbelfe stehen.
»Was ist los?«, fragte Sennar.
»Die Stadt liegt dort hinter dem Hügel«, murmelte Nihal.
»Niemand zwingt dich dazu«, gab Sennar ihr noch einmal zu bedenken, nachdem er zu ihr aufgeschlossen hatte. »Wir können die Stadt immer noch links liegen lassen und durch die Sümpfe weiterziehen.«
Nihal antwortete nicht und marschierte stattdessen auf den Hügel zu. Sie waren erst ein kurzes Stück seitlich um ihn herum gewandert, als sich plötzlich die Umrisse der Stadt vor ihnen abzeichneten.
Anstelle der hohen, schneeweißen Stadtmauer, die sie aus ihren Visionen in den letzten Tagen kannte, erblickte Nihal nun die gelblichen Ruinen einer an mehreren Stellen durchbrochenen Backsteinmauer, zu deren Füßen Schutt und Steine lagen. Darüber, dort, wo einst die höchsten Gebäude gestanden hatten, wo sich die ganze mächtige Silhouette der Stadt erhoben hatte, war jetzt nichts als eine schaurige Leere im fahlen Licht des Mondes.
In gespenstischer Stille bewegte sich Nihal langsam auf die Stadtmauer zu. Dann stand sie vor dem Eingangstor. Es war hoch und schmal, und auf dem Sturz kauerten die Statuen zweier Löwen, wie um die Stadt zu bewachen. Am Boden aber lag, aus den Angeln gerissen, das mächtige Holztor mit den Eisenbeschlägen, die metallenen Kanten waren vom Rost zernagt, das Holz durch und durch verfault. Nihal bückte sich und erblickte die verblassten, kaum noch erkennbaren Reste eines Flachreliefs. In der Mitte klaffte ein breiter Riss, wahrscheinlich von dem Rammbock, der vierzig Jahre zuvor, in einer Nacht wie dieser, das Tor durchbrochen hatte. Der andere Flügel hing noch schief in den Angeln. Es schien unglaublich, dass er auf diese Weise all die Jahre überdauert hatte.
Nihal richtete sich auf und schritt, eingeschüchtert und befangen, unter den Löwen hindurch, die sie mit ihren pupillenlosen Augen zu mustern schienen. Nun stand sie in der Stadt und kam sich vor wie in einer anderen Welt.
15. Laio und Vrasta
Laio war sich nicht ganz sicher, ob er wirklich schon erwacht war. Als er die Augen öffnete, war um ihn herum nichts als Finsternis. Erst das Gewicht der Ketten um Knöchel und Handgelenke brachte ihn, zusammen mit einem stechenden Schmerz in der Schulter, in die Wirklichkeit zurück.
Er versuchte den Kopf zu heben, um zu sehen, wo er sich befand, erinnerte sich dann aber wieder, was geschehen und dass er ein Gefangener war. Wieder kamen ihm die Tränen so wie einige Tage zuvor in der Zelle im Hauptlager. Nicht nur, dass es ihm nicht gelungen war, Nihal zu finden, nein, jetzt hatte er sich auch noch erwischen lassen.
Als er sich umdrehen wollte, um die Größe seiner Zelle abzuschätzen, verhinderten die Ketten dies, und ein entsetzlicher Schmerz fuhr ihm durch die Schulter. Er ließ den Kopf sinken. Aus anderen Zellen hörte er Kettenrasseln, Geschrei, heisere Stimmen, Gelächter. Es war eine Welt unheimlicher Geräusche, die ihn betäubten und ängstigten. Er hätte nicht sagen können, wie lange er schon so dalag. Da sah er plötzlich, wie sich in der Zellentür eine Klappe öffnete. Das einfallende, obwohl matte Licht blendete ihn. Als er sich daran gewöhnt hatte, sah er, dass die Zelle winzig war, gerade mal groß genug, dass er mit seinem schmächtigen Körper hineinpasste.
In der Öffnung tauchte jetzt das furchterregende, brutale Gesicht eines Fammin auf. Laio erstarrte, als er die
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