Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Schläge. Offenbar hatten ihre Freunde den Kampf aufgenommen. Sie vernahm Schritte zwischen den Bäumen, kehlige Rufe, und sah, wie sich Vrasta vor ihren Augen verwandelte und sein Gesicht zu einer brutalen Fratze wurde.
»Töte mich. Warum willst du es nicht tun, verfluchte Halbelfe? Hasst du mich so sehr? Gleich wirst du mich nicht wiedererkennen!«
Nun hörte auch Nihal deutlich, wie Vrastas Name durch den Wald hallte. Der Fammin nahm seinen Kopf zwischen die Hände und presste mit solcher Gewalt seine Schläfen zusammen, dass ihm bald schon Blut durch die Finger rann. Seine Augen quollen hervor, und nochmals flehte er sie an, ihn zu töten.
Nihal hob das Schwert, schloss die Augen und stieß die Klinge bis zum Heft in Vrastas Unterleib. Als sie wieder hinsah, kniete der Fammin vor ihr in einer großen Blutlache und blickte sie glücklich an. Seine Augen wirkten jetzt wieder klar, sein Gesicht entspannt, und er lächelte.
»Danke ...«, murmelte er noch, dann kippte sein Oberkörper nach vorn und er brach zusammen.
Wie versteinert stand Nihal da. Zum ersten Mal verstand sie nun, was Töten wirklich bedeutete. Das Schwert in ihren Händen zitterte, und sie fühlte sich besudelt vom Blut eines Unschuldigen. Sie achtete nicht auf die Schritte der Feinde, die herbeigelaufen kamen, und als dann vier Fammin zwischen dem kahlen Geäst hervorbrachen, war sie nicht darauf vorbereitet. Sie fuhr herum und streckte ihr Schwert aus.
Niemals zuvor hatte sie angesichts des Feindes gezögert. Nur ein Mal hatte sie Angst gehabt vor einer Schlacht, aber zu töten noch nie. Nun war alles anders. Sie war gesättigt von Blut und empfand Ekel bei dem Gedanken, noch mehr zu vergießen. Die Fammin warfen sich auf sie, und ein Axthieb verwundete sie an der Schulter. Nihal machte einen Satz zurück und streckte wieder das Schwert zu den Angreifern vor. »Haut ab! Ich will nicht gegen euch kämpfen!«, schrie sie.
In jeder der vier brutalen Fratzen, die sie umringten, erkannte sie einen Widerschein von Vrastas Lächeln, jeder dieser Angreifer konnte ein Verirrter sein, der nur notgedrungen einem Befehl gehorchte. Wie hätte sie da gegen sie kämpfen sollen?
So ergriff sie die Flucht, versuchte, so schnell sie konnte, davonzurennen, brach durch das Geäst, das ihre Haut aufkratzte, fiel hin, rappelte sich wieder auf, rannte weiter. Hinter sich, ganz nah, hörte sie die Schritte der Feinde.
Ein zweiter Hieb riss ihr ledernes Oberteil auf. Nein, zu fliehen war unmöglich, sie musste sich dem Kampf stellen. So blieb sie stehen und drehte sich um. Als die Fammin sahen, dass sie zum Kampf bereit war, zögerten sie einen Augenblick.
»Ich will euch nicht töten. Verschwindet, und es wird euch nichts geschehen«, rief Nihal noch einmal.
Als Antwort erhielt sie nur höhnisches Gelächter. Da schloss Nihal die Augen und begann auf die Feinde einzuschlagen. Von ihren Gesichtern wollte sie nichts sehen, fürchtete sich, etwas Menschliches darin zu erkennen. Es dauerte eine Weile, bis der Erste tot am Boden lag. Schon warf sie sich auf den Zweiten, wurde noch einmal verwundet, kämpfte aber weiter, bis alle Fammin niedergestreckt vor ihr lagen. Dann rannte sie wieder los, verfolgt von dem Abscheu, den sie vor sich selbst empfand. Irgendwann blieb sie stehen. Sie spürte, dass sie am Ziel war.
Vor ihr öffnete sich eine Art Höhle, mit Wänden aus den Stämmen abgestorbener Bäume und einem Gewölbe aus dürrem Geäst. Nihal trat ein und lief weiter, und je tiefer sie eindrang, desto dunkler wurde es.
Ihr war, als würde sie eine Ewigkeit rennen. Die Luft um sie herum hatte eine eigenartige Beschaffenheit angenommen, umhüllte sie wie eine Decke, wie Wasser. Da stolperte sie über irgendetwas und stürzte zu Boden, und wie sie so dalag, spürte sie, wie sich der Knoten, der ihr die Kehle zugeschnürt hatte, endlich löste, und sie brach in haltloses Schluchzen aus. Unzählige Gedanken schössen ihr durch den Kopf: der Anblick Vrastas, der lächelnd starb, das gerade im Wald verübte Blutbad, ihre Freunde, die ohne sie kämpfen mussten, der verwundete und gefolterte Laio, Sennar.
Sie weinte so lange, dass sie glaubte, nie mehr aufhören zu können, dass sie bis in Ewigkeit allein dort im Dunkeln liegen und Tränen vergießen würde.
Doch irgendwann vernahm sie eine Stimme: »Wer bist du?«
19. Goriar oder Von der Schuld
Laio mühte sich, den Schlaf ganz abzuschütteln, und stellte sich mit dem Schwert in Händen zum Kampf auf. Immer
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