Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Edelsteine in ihre vorbestimmte Fassung eingefügt waren.So waren die Angaben dieses Mal auch sehr viel genauer als zuvor: Es ging nach Süden, und Nihal sah krüppelige Bäume, mit Ästen, die sich vielfach gewunden dem Himmel entgegenreckten. Ein sterbender Wald.
»Mein Vater hat mir oft davon erzählt«, bemerkte Laio, als Nihal von ihren Visionen berichtet hatte. »Im Süden des Landes liegt ein großes Waldgebiet, Mool-Wald genannt, früher einmal einer der schönsten Wälder der gesamten Aufgetauchten Welt. Doch seit der Tyrann das Gebiet beherrscht, stirbt er mehr und mehr ab.«
So wanderten sie in Richtung Süden weiter. Nach den ersten beiden Tagesmärschen war ihnen klar, was es bedeutete, in ewiger Nacht zu leben. Es war fast unmöglich, zu festen Zeiten zu schlafen, und so legten sie sich nieder, wenn sie der Schlaf überkam. Zudem war es nun in der Dunkelheit, da sie nicht sehen konnten, wo sie den Fuß aufsetzten, noch mühsamer als bei Tag, das Sumpfgebiet zu durchqueren. Und auch die Orientierung fiel ihnen schwerer, sodass Sennar immer wieder gezwungen war, seine Zauberkräfte einzusetzen, unter der Gefahr, dass andere Magier auf sie aufmerksam wurden. Mehr als einmal kamen sie vom Weg ab und stellten irgendwann fest, dass sie im Kreis gelaufen waren. Schließlich gingen auch noch die Vorräte zur Neige, und so mussten sie sich mit dem behelfen, was sie gerade fanden: Wurzeln und Kräuter. Hin und wieder gelang es Vrasta auch, ein Kaninchen oder Ähnliches zu fangen. Als sie den Fluss Looh durchwatet hatten, fanden sie sich in einer weiten Steppenlandschaft wieder, die überzogen war mit einem gelblich-grünen Flaum, den man kaum Gras nennen konnte. Nach einer kurzen Rast machten sie sich wieder auf den Weg.
In jenen Tagen war Vrasta immer häufiger anzumerken, dass ihn etwas beunruhigte. Bis dahin hatte er sich stets sorglos und ergeben gezeigt. Nur Nihal spürte etwas von seinen inneren Qualen. Der Fammin trug Laio auf den Schultern, setzte seinen Spürsinn zum Wohle seiner Reisegefährten ein und marschierte, ohne müde zu werden. Abends übernahm er die Wache, auch wenn es nicht von ihm verlangt wurde. Mit der Zeit klang die Stimme des Fammin immer weniger kehlig und hörte sich fast menschlich an, seine Augen waren klarer geworden.
»Warum geht es dir so schlecht?«, fragte ihn Nihal eines Abends, während sie gemeinsam vor dem Feuer saßen und Wache hielten.
Der Fammin blickte sie erstaunt an. »Wie kommst du darauf?«
»Ich spüre, dass du traurig bist, dass dich etwas sehr schmerzt.«
Vrasta seufzte. »Ja, ich denke an mein Schicksal. Seit ich Laio kenne, merke ich erst, wie vieles ich vorher nicht verstanden habe. Und ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, dass ich jetzt klarer sehe. Vielleicht wäre es besser für mich gewesen, wenn ich nichts von der Welt erfahren hätte.«
Nihal schwieg.
»Vielleicht bin ich doch den Verirrten ähnlich«, fuhr Vrasta fort. »Wenn ich daran zurückdenke, was sie mir erzählten, merke ich, dass ich sie jetzt verstehe. Ich möchte nicht mehr ich selbst sein, möchte nicht mehr töten müssen, und weiß doch, dass ich irgendwann wieder dazu gezwungen werde. Ach, ich wäre lieber tot. Würdest du mich töten, wenn ich dich darum bitte?«
Nihal dachte lange nach, bevor sie antwortete. »Jedenfalls würde ich niemals zulassen, dass du einem von uns etwas antust«, erklärte sie dann.
An einem Tag, während sie durch die Steppe wanderten, fiel Sennar auf, dass Vrasta immer wieder die Nase reckte und schnupperte.
»Witterst du irgendetwas?«, fragte der Magier, doch der Fammin schüttelte den Kopf. In der dritten Woche erreichten sie endlich den Mool-Wald. Das fahle Licht dieses Schattenlandes umgab ein Gewirr kahler Äste, die sich, so weit das Auge reichte, vielfach verschlungen vor dem Himmel abzeichneten. Aber auch in diesem Zustand, durch die Klauen des Tyrannen seiner Lebenskraft beraubt, hatte sich der Wald noch etwas von seiner ursprünglichen Pracht bewahrt.
Nicht der ganze Wald war tot. Als sie tiefer in das Dickicht eindrangen, stießen sie immer häufiger auf junge Bäume mit frischem Laub. Auch wenn sie kränklich aussahen - sie lebten. Als sie schließlich zu einer kleinen Lichtung gelangten, die von dichtbelaubten Bäumen gesäumt war, beschlossen sie, dort zu rasten.
Vrasta ging auf die Jagd, und Nihal nutzte die Gelegenheit, um noch einmal den Talisman zu befragen. Es war ihr lieber, wenn der Fammin dann nicht in der Nähe war.
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