Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
stehenblieb. Vielleicht waren sie ja nun endlich weit genug fort und konnten sich in ein warmes, gemütliches Bett legen? Als er an die Seite seines Mitverschwörers ritt, sah er jedoch nur dunkle, mondbeschienene Felder vor sich und keine Anzeichen einer menschlichen Behausung. Er wollte schon fragen, wo sie sind, da hob Ha’il eine Hand. Ha’il drehte sein Gesicht An’luin zu und machte eine Kopfbewegung nach hinten. Der Wald, den sie gerade hinter sich gelassen hatten, hob sich dunkel vom Weiß der sanft schneebedeckten Felder ab. Als An’luin den Weg, den sie gekommen waren, hinauf blickte, konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. Ha’il drehte seine Stute und trabte zurück. An’luin, der nicht genau wusste was er tun sollte, kam hinterher. Was hatte der Raethgir nur gesehen?
Sie waren ein Stück des Weges zurückgeritten, als An’luin eine dunkle Form am Boden des Weges ausmachte. Ha’il war von seinem Pferd abgestiegen und beugte sich nieder. Als An’luin neben ihn trat, hob Ha’il ein Stück Stoff hoch, das An’luin als dunkelgrünen Wollumhang der Leibwache von Mal Kallin erkannte. Die beiden schauten sich an. Dann deutete Ha’il auf die Erde. „Spuren“, hauchte er in die kalte Morgenluft. Auch An’luin konnte es sehen. Die dünne Schneeschicht war durchbrochen von größeren Fußspuren, die in den Wald hineingingen. Die beiden Männer schauten sich an, um abzuwägen, was zu tun sei. Obwohl dies friedliche Zeiten waren, konnte man sich nie sicher sein, dass man fernab der eigenen Heimat nicht von Räubern, Gesetzlosen oder Dieben überfallen wurde. An’luin kam außerdem der Gedanke, dass vielleicht die Männer von Darren Ghaigh ihnen eine Falle stellten, da sie von den Umtrieben der beiden wussten. Aber bevor er noch darüber nachdenken konnte, welches Ungemach hinter dieser offensichtlichen Spur lag, war Ha’il schon in den Wald marschiert. An’luin huschte hinterher, nur die Umrisse seines Gefährten erkennend. Kleine Zweige schlugen ihm ins Gesicht, obwohl er seine Hände schützend vor sich hielt. Es war schwierig Ha’il zu folgen, da der Wald zunehmend dichter wurde und der Boden uneben. Gerade als An’luin einwenden wollte, dass es unklug sei, die Pferde alleine am Wege zurück zu lassen, war Ha’il stehen geblieben und hatte einen kurzen Schrei ausgestoßen. Vor ihnen, hinter einer Senke, lag eine Gestalt auf dem dunklen Waldboden. An’luin konnte sehen, dass das Wesen, das vor ihnen lag, riesig war. Wahrscheinlich hatte ein Bär die Leibwache am Wegesrand angefallen und hierher verschleppt, dachte der Ca’el, als zwei funkelnde Augen ihn ansahen. Zu seinem Entsetzen sah er, wie Ha’il über das knisternde Laub die Senke hinab stieg. Vor seinem inneren Auge sah An’luin, wie der Bär sich auf den Neugierigen stürzen und ihn zerfleischen würde. Schon erhob sich die Gestalt vom Boden und stellte sich auf zwei Beine. An’luin wusste nicht, was er tun sollte. War es besser, gleich fort zu rennen, oder sollte er seinem Begleiter beistehen? Noch bevor er sich entscheiden konnte, sah er, dass der Bär seine Arme ausbreitete. Er öffnete sein Maul und sagte: „Ha’il. Ich muss träumen.“
An’luin wollte sich die Augen reiben. Ha’il Usur antwortete dem Bären: „Bran.“
65. Die Legende von Alf’oy
s war der letzte Abend bevor sie die Daei’i verlassen mussten. Daaria begleitete Staer‘cui noch zu seiner Baumhöhle. Er war froh gewesen, dass es die letzten drei Tage nicht mehr geregnet hatte – gefroren hatte er trotzdem. Daaria schlief im Turm. Sie war ein offizieller Gast der Daei’i, wohingegen Nod nur geduldet war. Hal’feira hatte Daaria sogar nahegelegt, dass sie bei den Daei’i bleiben sollte, doch diese hatte dankend abgelehnt. Als sie ihre Entscheidung damit begründet hatte, dass sie bei Staer‘cui bleiben wollte, hatte die Anführerin sie ungläubig angeschaut. Männer zählten in der Welt dieser Amazonen nicht und so löste Daarias Entscheidung Unverständnis aus.
Tausend Frage n und Gedanken schwirrten in Staer‘cuis Kopf umher. Der Besuch bei den Daei’i hatte sein Weltbild auf den Kopf gestellt – und ihn in eine äußerst missliche Lage gebracht. Hal’feira hatte den beiden unmissverständlich klar gemacht, dass sie die Berge von Tha’niam nie wieder verlassen dürften. Obwohl Staer‘cui sich nicht vorstellen konnte, wie sie dies verhindern wollten, war er von der Vorstellung von einem Haufen wilder Weiber in seiner Freiheit
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