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Die Drachenperle (German Edition)

Die Drachenperle (German Edition)

Titel: Die Drachenperle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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zurück. Seit fast zwanzig Jahren ist sie verschollen. Das musst du doch einsehen. Da ist niemand mehr, du bist die letzte Geistheilerin deiner Familie. Ihr seid ein aussterbender Zweig.“
    Er legte beschwörend, aber auch mit Mitgefühl, seine warme Hand auf die dürre Hand der Alten. Rodovan senkte seine Stimme und suchte den Augenkontakt, doch sie verweigerte ihn.
    „Sina ist die Einzige der anderen Seite, die wenigstens ein wenig Begabung zur Geistheilung gezeigt hat.“
    Mareika wusste genau, dass Rodovan und Ulf vor allem an der nahtlosen Führung der Tempelschule gelegen war. Sie wusste auch, dass sie möglicherweise sehr bald das Zeitliche segnen würde. Und dann wäre die Schule ohne gesicherte Leitung, was ihren Fortbestand extrem gefährden würde, weil es keinen Meisterschüler als Nachfolger in Ausbildung gab, dem die Macht übertragen worden war. Die Schule könnte immer noch die niederen Ebenen der Geistheilung unterrichten, aber sie würde auch ihre große Bedeutung verlieren. Seit vielen Generationen war immer einer der geborenen Geistheiler der Leiter und Oberste Lehrer der Tempelschule gewesen.
    Die landesweit hochgeschätzte Gilde der Heiler aus den Bergen war seit jeher zweigeteilt: hier die Praktiker und Messerheiler, dort die Magierheiler, auch Geistheiler genannt, die allein mit der Kraft ihres Geistes durch Energielenkung heilen konnten. Eine dritte Gruppe, aber untergeordnet, bildeten die Kräuterkundigen und die Hebammen. Hier war das Zentrum aller Heilkunde. Seit Jahrhunderten hatte es immer genügend befähigte Nachkommen gegeben, um all das Wissen weiterzureichen. Aber die Geistheiler hatten zu ihrem Leidwesen nicht immer alle 20 Jahre einen Meisterschüler mit der Gabe stellen können. Hin und wieder übersprang die außerordentliche Befähigung zur Magie eine oder gar zwei Generationen.
    Die Messerheiler hatten ihre eigene Schule in Form ei nes Hauses für Kranke und Verletzte. Sie konnten bis zu 8 0 Menschen gleichzeitig versorgen. Selbst die stolze Mareika musste unwillig zugeben, dass sie manchmal erstaunliche Erfolge erzielten mit ihrem blutigen Handwerk. Neulich erst hatten sie eine Pfeilspitze aus dem Brustkorb eines fremdländischen Soldaten aus Übersee entfernt, die sehr tief saß und ihm seit Wochen schreckliche Schmerzen bereitete. Er hatte den Eingriff überlebt und erfreute sich nun einer immer besser werdenden Gesundheit. Niemals würden die Messerheiler einen Angehörigen der Geistheilerfamilie als Nachfolger der Leitung ihres kleinen Krankenhauses anerkennen, die zugegebenermaßen auch nicht sonderlich dafür begabt oder gar erpicht auf diese blutige Metzelei waren. In Wahrheit sahen die Geistheiler auf die pragmatischen Messerheiler herab. Sie waren für sie nur letztes Mittel zum Zweck, wenn ihre eigene Kunst an ihre Grenzen stieß.
    Aber nun verlangte man von ihr im umgekehrten Fall , dass sie ihre immense Macht auf eine kleine Närrin übertrug, die gar nicht fähig war, damit umzugehen. Sie würde das Mädchen damit zerstören. Es brauchte Jahre der beharrlichen Übung unter kundiger Anleitung, bis diese Macht zum Wohle der Kranken sicher gebraucht werden konnte. Warum nur änderte sich das alles jetzt in ihrer Lebenszeit? Es hatte doch jahrhundertelang auf beiden Seiten genug befähigte Nachkommen gegeben! Doch hatte sich die Zahl der Geistheilerfamilien kontinuierlich verringert in den letzten Jahrzehnten. Nein, nur einem Mitglied ihrer eigenen Familie würde sie die Macht übertragen, und sie wusste es besser als die Herren des Hohen Rates der Stadt, dass sie es tatsächlich würde tun können.
    „Nein. Er existiert. Ich weiß es. Er kommt. Ich fühle ihn.“
    Mareika gab ihrem Diener Jolim einen Wink, dass er die Besucher hinausbegleiten solle. Sie schloss ihre Augen und fiel vor den Augen der anderen von einem Moment zum andern in einen tiefen Schlaf. Mareika war 88 Jahre alt.
     
    Taiki hatte die Augen geschlossen und genoss in aller Seelenruhe die Sonne auf seiner Haut und vor allem den Duft der wildwachsenden weißen Lilien. Der Berghang war damit übersät. Was für ein schöner Anblick, dachte er. Heute Morgen hatte Taiki sich von der Reisegruppe getrennt, mit der er sicher in den Bergen der Heiler angekommen war. Man hatte sich freundlich voneinander verabschiedet, im Wissen, dass man sich in der Stadt vermutlich wieder über den Weg laufen würde. Die Gruppe hatte aus einigen Händlern, zwei Geistlichen der Neuen Kirche , mehreren Mitgliedern des

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