Die Drachenreiter von Pern 08 - Nerilkas Abenteuer
erstmals von den Blutserum-Injektionen, die man den Kranken verabreicht hatte. Man schilderte mir in Kurzform die alte Heilmethode, an die sich Meister Capiam erinnert hatte: Aus dem Blut der Genesenen wurde durch Ausschleudern des Serums ein Impfstoff gewonnen, der gerade so viele Krankheitskeime enthielt, daß er die Abwehrreaktion des Körpers in Gang setzte und auf diese Weise die Seuche bekämpfte. Die Heiler hatten die ersten Injektionen erhalten, da sie am stärksten gefährdet waren. Bei Meister Fortine, der bereits erkrankt war, verlief der Heilungsprozeß seit der Impfung wesentlich rascher. Man hoffte, daß es bald, sehr bald genug von diesem Serum geben würde, um alle Bewohner von Pern vor der Ansteckung zu schützen. Unser Planet war gerettet!
Ich blieb trotz der Begeisterungsstürme ein wenig skeptisch, aber die Atmosphäre in der Halle war durchdrungen von Hoffnung und Erleichterung. Als ich in die Burg zurückkehrte, fühlte ich mich befreit von der bedrückenden Angst, daß noch mehr Menschen, die ich liebte, den Tod finden könnten. Ich rannte in die Nähstube, um meinen Schwestern die gute Nachricht zu bringen. Natürlich war auch Anella anwesend; ihr entging kein Wort, und sie befragte mich eingehend, ehe sie aus dem Zimmer stürzte. Vielleicht lag ihr die Gesundheit meines Vaters doch mehr am Herzen als sein großer Besitz.
Wie es genau geschah, weiß ich nicht, aber am Abend tauchten plötzlich drei Heiler in der Burg auf. Sie wurden sofort in die Privaträume meines Vaters geleitet. Ich nehme an, daß sie ihn zuerst impften. Ganz sicher kamen gleich danach Anella und ihre beiden Kleinen an die Reihe. Zu meiner völligen Verblüffung versammelte Vater jedoch auch seine übrigen Söhne und Töchter und ließ uns allen eine Injektion verabreichen. Meine jüngeren Geschwister ertrugen das Pieksen der Nadeldorne, ohne eine Träne zu vergießen.
»Der Impfstoff reicht noch für etwa fünfzehn Personen, Lady Nerilka«, flüsterte mir der Heilergeselle zu, während er mich behandelte. »Wen schlagen Sie vor? Desdra meinte, ich soll mich an Sie wenden. Sie wüßten hier am besten Bescheid.«
Ich bat ihn, zunächst sämtliche Pflegerinnen der Kinderkrippe zu impfen, dann unsere drei Harfner sowie Felim und seinen Stellvertreter. Außerdem Tante Sira, da sie allein all die herrlichen Brokatmuster kannte, auf die unsere Burg so stolz war. Und Burgverwalter Barndy mitsamt seinem Sohn. Die beiden waren unersetzlich, solange Vater sich weigerte, seine Räume zu verlassen.
Onkel Munchaun sollte ebenfalls eine Injektion erhalten. Er konnte im Notfall die Rolle des Burgverwalters übernehmen, und er war der einzige, der Baron Tolocamp gelegentlich anbrüllte, ohne eine Vergeltungsmaßnahme zu riskieren.
17.3.43
Anella zwang mich, den größten Teil des Vormittags in der Nähstube zu verbringen. Ständig mäkelte sie an unserer Arbeit herum. Ab und zu mußten wir eine Naht auftrennen, die völlig in Ordnung war, während sie tatsächliche Schlampereien übersah. Nach einer Weile begannen meine Nerven zu flattern. Lilla, Nia und Mara zeigten mehr Geduld als ich, aber immerhin sollten sie ja neue Kittel für ihre Mühe erhalten.
Anella war zudem geschmacklos genug, uns Baron Tolocamps neueste Anweisungen an den Burgverwalter und Campen zu übermitteln: Ab sofort durfte aus den Vorratskammern der Burg nichts mehr an die Bedürftigen abgegeben werden. Da Fort die Verantwortung für die Bewohner seines Herrschaftsbereiches trage, sei es in dieser Zeit der Krise verpflichtet, mit gutem Beispiel voranzugehen und äußerste Sparsamkeit walten zu lassen. Das gelte auch, fuhr Anella mit sichtlichem Vergnügen fort, für die Heiler- und Harfner-Halle. Meister Capiam und Meister Tirone hätten sich bereits zu einem Gespräch angesagt - vermutlich um Lebensmittel und Arzneien zu erbitten.
Als ich das hörte, reichte es mir endgültig. Meine Geduld, meine Höflichkeit und meine Loyalität waren erschöpft. Ich konnte weder die Anwesenheit dieser Frau ertragen noch die Feigheit und den Geiz meines Vaters, der mit seinem Verhalten Schande über unser altehrwürdiges Geschlecht brachte. Mein Entschluß stand fest: Ich würde Burg Fort verlassen.
Unter dem Vorwand, daß ich ein neues Konfekt-Rezept für das Abendessen ausprobieren wolle, verließ ich die Nähstube. Ich durchquerte die Küchengewölbe und begab mich in den kleinen Apotheken-Raum. Dort destillierte ich Fellis in dem größten Kessel, den ich fand, und
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