Die Drachenschwestern
Kopf zur Seite
und beschloss, einfach ihre Gegenwart zu genießen und zu schauen, wie sich der
Abend entwickeln würde.
Als es an der Tür klingelte, warf Kaja nervös einen letzten Blick in
den Spiegel. Zorro veranstaltete schon einen lauten Freudentanz vor der noch
geschlossenen Türe und Kaja beeilte sich, sie zu öffnen. Tim wurde regelrecht
überrannt von dem eifrigen Fellbündel.
„Uff“, japste Tim und schob den Hund ein wenig zur Seite, ließ aber
seine Hand hinter Zorros Ohren und kraulte ich, während er Kaja begrüsste.
Erleichtert stellte sie fest, dass er offensichtlich nicht da anknüpfen wollte,
wo er das letzte Mal aufgehört hatte und sie entspannte sich ein wenig.
„Lass uns zu Fuß
zum See gehen“, bat sie, „es ist ja nicht weit.“
„Ja, das habe ich
mir auch schon überlegt.“
Er hakte sich freundschaftlich bei ihr unter und sie machten sich auf,
Richtung See. Zorro lief vor ihnen auf dem Gehsteig, seine helle Rute leuchtete
durch die städtische Dunkelheit, erhellt durch die Straßenlaternen. Es war ein
ausgesprochen lauer Septemberabend, auch wenn sie froh war, ihre dicke Jacke
angezogen zu haben.
Eine Weile gingen sie wortlos nebeneinander her und genossen den
Spaziergang, bis Kaja das Schweigen brach und fragte: „Weshalb musstest du denn
so plötzlich abreisen?“
Sie merkte, wie er
kurz zögerte, bevor er antwortete. „Ein Freund von mir ist gestorben.“
Betroffen schweig Kaja. Sie wusste nicht genau, wie sie auf diese
Mitteilung reagieren sollte. Vorsichtig fragte sie: „Ist er verunglückt?“
„Nein, Krebs. Ich war also nicht ganz unvorbereitet. Aber man hofft
schlussendlich doch immer noch auf ein Wunder“, schloss er leise, mehr zu sich
selbst als an Kaja gewandt. Kaja nahm seine Hand und drückte sie leicht.
„Tut mir leid, dass ich das wieder aufgewühlt habe, ich wusste ja
nicht ...“, sie brach ab und schaute ihn an. Er lächelte sie an und erwiderte
den Druck ihrer Hand.
„Schon gut. Ich bin froh, dass ich es dir erzählt habe. Aber lass uns
jetzt nicht diesen schönen Abend verderben. Das bringt ihn auch nicht wieder
zurück. Ich bin sicher, Sandro, so hieß mein Freund, ist jetzt an einem
friedlichen Ort. Vor allem an einem Ort ohne Schmerzen.“
Seine Augen schimmerten dunkel im Licht der Straßenbeleuchtung, als
sie ihn prüfend musterte. Eins musste man ihm ja lassen: Unter seinem
ansprechenden Äusseren verbarg sich mehr als man auf den ersten Blick
vermutete. Plötzlich wurde Kaja bewusst, dass sie über den Mann an ihrer Seite
so gut wie nichts wusste. Sie spürte zwar die Vertrautheit zwischen ihnen, die
wohl zum größten Teil aus der gemeinsam verbrachten Kindheit her rührte, aber
sie kannte nur den Jungen aus ihrer Erinnerung. Den Schritt ins
Erwachsenenleben hatten sie beide unabhängig voneinander gemacht. Sie spürte,
wie sie auf einmal neugierig wurde zu entdecken, was für ein Mann aus dem
Jungen von damals geworden war.
Seine Stimme riss
sie aus ihren Gedanken.
„Wie ist es dir so
ergangen bei der Arbeit?“, fragte er ehrlich interessiert.
Auf diese Frage hatte Kaja gewartet. Ruhig erzählte sie ihm alles, was
sich in der Zwischenzeit ereignet und was sie herausgefunden hatte. Schließlich
schilderte sie ihm ihre Vermutung, dass in der ganzen Firma etwas schieflief,
nicht nur bei ihr.
„Wie kommst du
denn darauf?“, hakte er nach.
„Erstens sehe ich sonst keinen Sinn dahinter. Wenn sie wollten, hätten
sie mich ja schon feuern können, Gründe dafür hätten sie ja genug.“
„Nur wegen dieses
Wettbewerbs?“ Ungläubig runzelte er die Stirn.
Etwas verspätet fiel Kaja ein, dass sie ihm ja verschwiegen hatte,
weswegen Frédéric sie bei ihren Vorgesetzten verleumdet hatte und auch, dass
sie mit diesem Arschloch zusammen gewesen war. Ein Verhältnis gehabt hatte,
korrigierte sie sich. Sie wurde rot und war heilfroh, dass es so dunkel war.
„Also ... wie soll
ich sagen ... da war noch etwas.“
„Was denn“,
ermunterte Tim sie.
Also erzählte sie ihm
auch noch den Rest der Geschichte.
„Ich bin sprachlos vor so viel Niederträchtigkeit.“ sagte Tim
fassungslos. „Kein Wunder, dass unsere Gattung so einen schlechten Ruf hat“,
grummelte er erbost.
„Unsere Gattung?“
Kaja schaute ihn fragend an.
„Na, die Männer.“
„Ach so“, kicherte
Kaja und merkte, dass sie sich ein wenig entspannte.
„Dieses Schwein“,
brach es aus ihm hervor.
„Ja, das weiß ich jetzt auch“, antwortete Kaja ein wenig
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