Die Drachenschwestern
perplex und kein bisschen klüger verließ Kaja das
Büro. Was war die Kuh auch so zickig? Schließlich wollte sie nur wissen,
welchem Projekt sie zugeteilt worden war. Nachdem sie letzte Woche alle kleinen
Pendenzen abgearbeitet hatte, war sie das erste Mal seit langem praktisch
arbeitslos. Kaja hielt inne. Arbeitslos. War sie jetzt schon paranoid oder
wurde sie tatsächlich planmäßig von den großen Aufträgen ferngehalten? Was heißt
hier großen, schnaubte sie, von allen trifft es wohl eher. Und in drei Wochen
ist Qualifikationsgespräch. Das sieht dann natürlich spitzenmäßig aus, wenn ich
die vergangenen zwei Monate nichts vorzuweisen habe.
„Bist du also auch schon drauf gekommen?“, ertönte neben
ihr plötzlich eine körperlose Stimme.
„Lance?“
Sie drehte sich um und entdeckte den Drachen auf einem Aktenschrank sitzend.
„Pst!“ Warnend hob er einen krallenbewehrten Finger an
seine schuppenbedeckten Lippen.
„Was ist denn jetzt los?“ Kaja war nun vollends
verwirrt. Dabei hatte der Tag doch so vielversprechend begonnen.
„Ich dachte, es
kann dich niemand sehen und hören außer mir?“
„Schon, aber dich hören und sehen sie, wie du mit einem
Aktenschrank sprichst. Ich bin sicher, das fördert deinen Ruf als zuverlässigen
und geistig gesunden, belastbaren Mitarbeiter sehr, hihi.“
Tatsächlich wurde sie schon von jemandem besorgt
gemustert.
„Na du, strenges Wochenende?“ Uff, zum Glück nur Thea,
heute in einem leuchtend roten Kleid kombiniert mit knallgelben hochhackigen
Pumps.
„Wow, du siehst
toll aus“, versuchte Kaja erst abzulenken. „Äh, wieso meinst du?“
„Na ja, ich
meinte nur zu hören, wie du mit dir selber sprichst.“
„Äh das, ja, ich bin nur nochmals meine To-do-Liste im
Kopf durchgegangen.“ Sie grinste. „Oder offenbar nicht nur im Kopf, wie es
scheint. Was machst du denn hier?“
„Dich suchen“,
kam die prompte Antwort von Thea.
„Das trifft sich
ja gut, ich wollte dich auch noch anrufen. Mittagessen?“
„Okay, also bis
um zwölf, vorher kann ich nicht weg.“
Damit drehte sie sich um und winkte Kaja auf ihrem Weg
zur Treppe noch kurz zu. Ein roter Wirbelwind unterwegs, dachte Kaja lächelnd
bei sich.
„Uff, noch mal
gut gegangen“, meinte Kaja zu Lance.
„Du tust es
schon wieder“, ermahnte Lance sie leicht genervt.
„Was denn“, fragte sie geistesabwesend, mit ihren
Gedanken schon wieder ganz wo anders. „Laut mit mir sprechen. Wie oft habe ich dir
schon gesagt, dass Denken reicht!“
„Ach ja, stimmt,
ist nur sehr ungewohnt für mich.“
„Dann
gewöhne dich lieber mal schnell daran, wenn du noch länger hier arbeiten
möchtest.“
Fragend blickte Kaja zu Lance hinüber und beschloss
dann, dieses Gespräch lieber in ihr eigenes Büro zu verlegen, als hier auf dem
Flur stehen zu bleiben. In wenigen Schritten war sie in ihrem Büro und wollte,
mit dem Blick auf ihre Uhr gerichtet, gleich wieder mit Lance zu sprechen
beginnen. Dieses Mädchen ist manchmal so etwas von stur, dachte Lance
kopfschüttelnd bei sich und legte ihr flink eine Hand auf den Mund, bevor sie
auch nur einen Pieps machen konnte.
„Was…“, sie dachte ihre Verwünschung nicht zu Ende,
sondern starrte nur verwundert auf die Person, die ihr gegenüber an Frédérics
altem Arbeitsplatz saß. Der Mann trug einen teuren Anzug, kombiniert mit weißen
Turnschuhen. Seine nicht ganz kurzen Haare hatte er, wie es schien, mit
mindestens einer Tube Gel zum momentanen Inlook, den Kaja persönlich absolut
daneben fand, nach vorne über die Stirn gekämmt. Seine Krawatte hatte er
nachlässig über seinen Stuhl gehängt, der oberste Knopf seines rosa Hemdes
stand offen. Rosa, man stelle sich vor, das stand ja nun wirklich den wenigsten
Männern, aktuelle Mode hin oder her. Er gehörte definitiv nicht zu ihnen. Doch
er fühlte sich offensichtlich wohl und hatte sich beinahe schon häuslich
eingerichtet.
„Hallo, ich bin Michael.“ Er kam ihr mit ausgestreckter
Hand entgegen, ein Zahnpastalächeln im Gesicht. Kaja ergriff sie und wollte
schon mehr oder weniger freundlich fragen, was er denn hier zu suchen hätte,
als er fortfuhr: „Ich bin sicher wir werden uns gut verstehen, ich habe schon
viel von dir und deinen Talenten gehört.“ Er grinste anzüglich.
Kaja erstarrte. „Wie bitte?“, fragte sie ihn ihrem
frostigsten Tonfall, obwohl sie innerlich bereits kochte. Mit aller
Willenskraft versuchte sie, ihrer Wut nicht freien Lauf zu lassen, aus Angst,
ihr
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