Die Drachenschwestern
sprang auf, ihren Kater
dicht auf den Fersen, gefolgt von Zorro, unter Einhaltung eines
Sicherheitsabstands von eineinhalb Metern. „Soll ich mitkommen?“, rief Kaja
Miri hinterher.
„Nein, nein, bleib
ruhig sitzen. Wir sind gleich wieder da.“
„Pass auf, dass dir
die Raubtiere nicht alles klauen, bis du wieder oben bist.“
Die Tür öffnete sich und
leckerer Pizzaduft verteilte sich in dem kleinen Wohnzimmer.
„Irgendwie erinnert ihr mich an die Bremer Stadtmusikanten“, witzelte
Kaja, „fehlt bloß noch der Hahn…“
„Danke auch“, schnaubte Miri gespielt empört, „was mich dann zum Esel
machen würde.“ Kaja schnappte sich ihre Pizzaschachtel, bevor es Miri einfallen
konnte, ihr zur Strafe das Essen vorzuenthalten.
In einträchtigem Schweigen teilten sie miteinander das Essen. Erst
nachdem sie beide fast fertig waren, nahm Miri das Gespräch wieder auf. Mit
halbvollem Mund fragte sie: „Was ist denn nun los bei dir im Geschäft.“
Kaja schluckte den letzten Bissen herunter und leckte sich die
fettigen Finger ab. „Hättest Du ein Glas Wasser für mich? Der Wein ist sehr
lecker, aber ich muss ja leider noch fahren.“
„Aber klar doch, ich habe noch Apfelschorle, Tee, Kaffee oder
natürlich Wasser, allerdings nur Leitungswasser. Was möchtest du?“
„Wasser reicht völlig, danke.“
Miri verschwand in der Küche um ein Glas Wasser zu holen, während Kaja
wieder einmal die letzten paar Wochen ihres Lebens rekapitulierte.
„Jetzt hab ich diese Geschichte schon so oft erzählt, dass ich bald
ein Buch darüber schreiben könnte.“
„Mach doch, ausgeschmückt als
Thriller verkauft sich das bestimmt gut.“
„Woher willst du denn das
wissen.“
„Ich lese selber viel und zudem arbeite ich in einer Buchhandlung.“
„Du arbeitest in diesem
kleinen Buchladen an der Ecke, wo wir den Unfall hatten?“
„Genau.“
„Was für ein Zufall: an dem Tag, an dem wir zusammengestoßen
sind, wollte ich genau dort hin! Da hätte uns das Schicksal also auf jeden Fall
zusammengeführt“
„Vielleicht auch nicht.“ Miri druckste herum. „Ich arbeite meistens im
Hintergrund. Ich mache die Bestellungen, die Buchhaltung, den ganzen
administrativen Teil halt. Die Buchhandlung gehört meinem Onkel.“
„Das ist ja toll: freier
Zugang zu allen Büchern“, schwärmte Kaja.
„Ehrlich gesagt, es geht so. Mein Onkel und ich sind nicht gerade das ‚Dream
Team’. Er ist der geizigste Mensch auf Erden. Er mag mich nicht besonders, was zugegebenermaßen
auf Gegenseitigkeit beruht.“
„Wieso arbeitest du denn da?“
„Ich hatte zu dem Zeitpunkt, als ich bei ihm angefangen habe, absolut
kein Geld, einige Schulden und brauchte dringend einen Job. Ich nehme mal an,
ich sollte ihm dankbar sein dafür“, brummte Miri. „War ich auch, die ersten
paar Wochen. Bis mir aufging, dass er mir die Stelle offenbar nur angeboten
hatte, um mich konstant unter seiner Fuchtel zu haben und mich fertig zu
machen.“
„So schlimm?“, fragte Kaja
erschüttert.
„Ziemlich. Ich darf kaum Kundenkontakt haben, weil er es als eine
Schande ansieht, wie ich rumlaufe, wie ich aussehe, wie ich spreche – ich würde
ihm die Kundschaft vergraulen. Wenn ich einen Fehler mache… “ Miri schluckte
und blickte zur Seite.
„Was dann?“
Miri riss sich zusammen und straffte die Schultern. „Dann folgen
endlose Monologe darüber, wie dumm ich bin und dass das die gerechte Strafe
ist, weil meine Mutter eine Sünde begangen hat – nämlich die, mit meinem Vater
zu schlafen, ohne dass sie verheiratet waren, und dann auch noch schwanger zu
werden dabei.“
„Aber...“, Kaja suchte nach den passenden Worten, was gar nicht so
einfach war, „ihm ist schon bewusst, dass wir mittlerweilen im 21. Jahrhundert
leben – welchem das 20. vorangegangen ist – und nicht im Mittelalter?“, schloss
sie dann ungläubig.
„Puh“, atmete Miri hörbar aus. „Tut mir leid, mich nimmt das immer
unglaublich mit. Ich weiß, dass ich das einfach von mir abprallen lassen
sollte, aber ich kann einfach nicht anders. Ich nehme es immer persönlich.“ Sie
schnäuzte sich geräuschvoll die Nase.
„Ich kann das gut verstehen. Ist ja schon schwierig genug, wenn man
sich solche Dinge ab und zu anhören muss. Wenn ich mir vorstelle, das jeden Tag
mitmachen zu müssen, oje oje.“
„Ich bin da vermutlich auch speziell empfindlich“, fügte Miri hinzu.
„Es ist nämlich so, dass ich Lernschwierigkeiten habe. Oder besser gesagt,
hatte.
Weitere Kostenlose Bücher