Die drei 42 Das Geheimnis der alten Villa drei Ausrufezeichen
Sonne war inzwischen hinter dem Haus verschwunden und die Luft hatte sich abgekühlt. Es war immer noch derselbe herrliche Frühlingsabend wie vorhin, aber Franzi hatte keinen Blick mehr für das helle Grün der Blätter und die bunt leuchtenden Blumen, die am Rand der Koppel wuchsen. Sie konnte nur noch an Oma Lotti denken, die nicht mehr in ihrem Haus in Billershausen war, wo sie hingehörte, sondern schwer krank im Krankenhaus lag.
Langsam schlurfte Franzi zur Koppel hinüber. Sie fühlte sich, als würde sie ein zentnerschweres Gewicht zu Boden drücken.Tinka hatte ihren Abendgalopp beendet und stand ruhig unter einem knorrigen Apfelbaum. Als sie Franzi erblickte, kam sie sofort zum Zaun und schnaubte sanft zur Begrüßung.
»Hallo, meine Süße!« Franzi streichelte ihr Pony. »Du merkst genau, dass es mir nicht gut geht, was?« Franzi lächelte traurig. Tinka war sehr klug. Sie hatte ein unglaubliches Gespür dafür, wie es Franzi ging. Jetzt stupste sie sie aufmunternd mit der Schnauze an. »Ja, ja, ich erzähle dir alles. Aber erst bringe ich dich in den Stall.«
Franzi öffnete das Tor zur Koppel und Tinka trabte brav hinter ihr her. Ein Halfter war nicht nötig, denn Tinka wusste genau, dass sie gleich ihr Abendheu bekommen würde, und steuerte zielstrebig ihre Box im Pferdestall an. Franzi versorgte ihr Pony und sah Tinka beim Fressen zu. Als Tinka satt war, legte sie ihren Kopf auf Franzis Schulter und pustete ihr warme Luft ins Ohr.
Franzi musste kichern. »He, das kitzelt!« Doch plötzlich ging das Kichern nahtlos in heftiges Schluchzen über. Franzi vergrub ihr Gesicht in Tinkas weicher Mähne und weinte so lange, bis sie keine Tränen mehr hatte. Dann erzählte sie Tinka flüsternd, was geschehen war. Das Pony stand ganz still und hörte mit gespitzten Ohren zu.
»Oma Lotti darf einfach nicht sterben!« Franzi wischte sich mit dem Ärmel ihres Pullovers über das Gesicht und zog die Nase hoch. »Verstehst du?« Tinka schnaubte zustimmend.
Die Anwesenheit ihres geliebten Ponys, die abendliche Stille im Stall und der vertraute Geruch nach Heu und Pferden trösteten Franzi und legten sich wie Balsam auf ihre Seele. Sie merkte, wie sie ruhiger wurde. Die Sorge um ihre Omawar zwar immer noch da, aber es schoben sich andere Bilder aus helleren Tagen davor.
Franzi musste an die vielen Besuche bei Oma Lotti in Billershausen denken. An ihr verwunschenes Hexenhäuschen am Rand des Märchenwaldes, dessen uralte Legende sie Franzi so oft erzählt hatte.
Franzi sah ihre Oma vor sich, mit dem grauen Dutt, dem runzligen Gesicht und ihrer karierten Kittelschürze. Würde sie jemals wieder in ihrer Küche am Herd stehen und ihre berühmten Bratkartoffeln zubereiten? Plötzlich fiel Franzi ein, wie sie bei einem ihrer letzten Besuche in Billershausen zufällig Oma Lottis Testament gefunden hatte. Franzi hatte einen riesigen Schreck bekommen, aber ihre Oma hatte behauptet, nur für den Fall der Fälle vorsorgen zu wollen. War das tatsächlich die Wahrheit gewesen? Oder hatte ihre Oma eine Vorahnung gehabt? Hatte sie gewusst, dass bald etwas Schreckliches geschehen würde?
Franzi seufzte. »Du musst wieder gesund werden, Oma Lotti«, flüsterte sie in die Stille des Stalles hinein. »Gib nicht auf, hörst du?«
Franzi umarmte Tinka ein letztes Mal, drückte ihr einen Kuss auf die Nase und ging hinaus in die blaue Frühlingsdämmerung.
Marie riss die Tür zum Krankenhaus auf und stürmte in die Eingangshalle. Franzi und Kim warteten bereits vor den Fahrstühlen.
»Ich konnte es kaum glauben, als ich heute früh deine SMS gelesen habe!« Marie umarmte Franzi und drückte sie ganzfest. »Oma Lotti war doch fit wie ein Turnschuh, als wir sie das letzte Mal besucht haben.«
Franzi löste sich aus Maries Umarmung. »Ja, für uns kam ihr Schlaganfall auch völlig überraschend. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugetan und in der Schule heute Vormittag nur vor mich hin gedämmert. Ich sag’s euch, ich bin völlig fertig.«
»Kann ich verstehen«, sagte Marie mitfühlend. »Aber denk dran: Du bist nicht allein!«
Franzi lächelte schwach. »Ich weiß. Danke, dass ihr mich zu Oma Lotti begleitet. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alleine durchstehen würde.«
»Das ist doch selbstverständlich.« Kim drückte Franzis Arm. »Wozu hat man schließlich Freundinnen?«
»Sollen wir?«, fragte Marie.
Franzi nickte tapfer. »Wir müssen in den zweiten Stock, Zimmer 221. Zum Glück hat sich Oma Lottis Zustand
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