Die drei 42 Das Geheimnis der alten Villa drei Ausrufezeichen
dunkelblauen Fensterläden und der farblich dazu passenden Haustür wirkte im Licht der Abendsonne wie das Motiv einer Kitschpostkarte. Grüner Efeu rankte sich an der Fassade empor bis zum Dach und von der Koppel hinter dem Haus waren Hufgetrappel und Tinkas übermütiges Wiehern zu hören. Franzi grinste. Wahrscheinlich vollführte ihr Pony gerade seinen Abendgalopp. Sie fuhr über den Hof, lehnte ihr Fahrrad gegen dieHauswand und sprang die drei Steinstufen zur Haustür hinauf.
»Ich bin wieder da!«, rief sie gut gelaunt, als sie die Tür öffnete.
Franzi streifte sich die Turnschuhe von den Füßen und betrat auf Socken die Küche, wo bereits ihre ganze Familie versammelt war. Franzis ältere Geschwister Chrissie und Stefan saßen auf der Küchenbank zwischen dem üblichen Chaos aus Zeitschriften, Reitkappen, Büchern und anderem Krimskrams. Frau Winkler lehnte an der Spüle, ihr Mann stand neben ihr.
Franzi stutzte. »Nanu, der Tisch ist ja noch gar nicht gedeckt«, stellte sie etwas vorwurfsvoll fest. »Da hätte ich mich ja gar nicht so zu beeilen brauchen.«
Niemand reagierte. Erst jetzt fiel Franzi das merkwürdige Schweigen in der Küche auf. Die Augen ihrer Schwester waren rot und sie schnäuzte sich gerade in ein Taschentuch. Stefan starrte mit versteinerter Miene auf die Holzplatte des Küchentischs. Auch die Gesichter ihrer Eltern waren ernst.
»Was ist denn mit euch los?«, fragte Franzi verdutzt. »Ist jemand gestorben?«
Chrissie schluchzte auf. Herr Winkler räusperte sich. »Setz dich bitte, Franzi. Es gibt leider schlechte Neuigkeiten.«
Franzi schluckte. Als sie sich auf einem Stuhl niederließ, schien ein kalter Hauch durch die sonst so gemütliche Küche der Winklers zu wehen. Franzi fröstelte.
»Es geht um … Oma Lotti.« Herr Winkler räusperte sich noch einmal. Es fiel ihm sichtlich schwer, den nächsten Satz auszusprechen. »Sie … also … Oma Lotti hatte einen Schlaganfall.«
»Was?« Franzis Herzschlag setzte einen Moment aus. Sie starrte ihren Vater an. Hatte sie sich verhört? Das konnte doch nicht wahr sein!
»Die Nachbarin hat sie in ihrem Schlafzimmer gefunden«, berichtete Herr Winkler nun ganz sachlich. »Offenbar ist es beim Aufstehen heute früh passiert.«
Nur ganz langsam sickerte die schreckliche Wahrheit in Franzis Bewusstsein. »Ist sie .. ist sie … tot?«, krächzte sie. Ihr Mund war plötzlich ganz trocken.
»Nein, nein«, sagte Herr Winkler schnell. »Sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort wird alles für sie getan.«
Franzi sprang auf. »Ich muss zu ihr!« Sie wollte zu ihrem Fahrrad stürmen, aber ihre Beine fühlten sich taub an und vor ihren Augen drehte sich alles. Sie musste sich an der Tischkante festhalten, um nicht umzukippen.
Mit wenigen Schritten war ihre Mutter bei ihr und drückte sie zurück auf den Stuhl. »Ich verstehe ja, dass du bei deiner Oma sein willst«, sagte sie sanft. »Aber im Moment können wir nichts für sie tun. Papa und ich kommen gerade aus dem Krankenhaus. Oma Lotti ist momentan nicht ansprechbar. Sie braucht viel Ruhe.«
»Aber … ich kann sie doch jetzt nicht einfach allein lassen!« Franzis Stimme versagte.
»Morgen ist auch noch ein Tag.« Frau Winkler strich ihrer Tochter über die Wange. »Es ist für uns alle ein Schock. Wir müssen zusammenhalten und gemeinsam stark sein.«
Stefan und Herr Winkler nickten. Franzis Bruder war ungewöhnlich blass und knetete unter dem Tisch unablässig seine Hände. Seine Augen glänzten verdächtig.
Chrissie ließ ihren Tränen freien Lauf. Ihre Wangen waren schon ganz nass und ihre Wimperntusche war verlaufen, doch das schien Franzis sonst so eitle Schwester heute gar nicht zu bemerken. »Und was ist, wenn Oma Lotti stirbt?«, fragte sie mit wackeliger Stimme, die so ganz anders klang als ihr üblicher leicht zickiger Tonfall.
»Daran sollten wir jetzt nicht denken«, sagte Herr Winkler fest. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
Franzi schluckte. Der Gedanke, dass Oma Lotti sterben könnte, war einfach unerträglich. Plötzlich hielt sie es nicht mehr in der Küche aus. Chrissies Tränen, Stefans versteinerter Blick, die Hilflosigkeit und Verzweiflung ihrer Eltern – das war einfach zu viel. Sie musste hier raus! Franzi sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl gefährlich schwankte.
»Wo willst du hin?«, fragte Frau Winkler alarmiert.
»Ich … ich bin im Stall«, stammelte Franzi und ergriff die Flucht.
Vor dem Haus atmete Franzi erst einmal tief durch. Die
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