Die drei Musketiere
die ihn trägt.
Umsonst suchte er sich einzureden, daß dieser Pavillon mit Frau Bonacieux nichts gemein, daß sie ihn ja vor und nicht in das Gartenhaus bestellt habe und daß sie wahrscheinlich von ihrem eifersüchtigen Herrn in Paris festgehalten würde. Dieser Selbstbetrug mußte jenem schmerzlichen innern Gefühl
weichen, das sich bei gewissen Anlässen unseres ganzen Wesens bemächtigt und uns von allen Seiten her zuzurufen scheint, daß ein schweres Unglück über unserm Haupt schwebe.
Kalter Schweiß trat dem jungen Mann auf die Stirn, krampfhaft schnürte sich sein Herz zusammen, keuchend rang sich der Atem aus seiner Brust. Wie von Sinnen rannte er auf die Landstraße und zur Fähre hinunter, um sich beim Fährmann zu erkundigen, wen er abends übergesetzt habe... »Eine in einen schwarzen Mantel gehüllte Frau«, lautete die Antwo rt, »der viel daran gelegen schien, nicht erkannt zu werden.« Aber gerade deswegen hatte der Fährmann sie genau ins Auge gefaßt und wahrgenommen, daß es eine junge, schöne Frau war. Aber, wie heute, so kamen auch damals schon schöne, junge Frauen nach Saint-Cloud, und wohl den meisten von ihnen lag daran, nicht erkannt zu werden. Und doch zweifelte d'Artagnan keinen Augenblick, daß der Fährmann Frau Bonacieux erkannt hatte.
Immer mehr von der Furcht beherrscht, daß ihr und niemand sonst ein schlimmes Unglück zugestoßen sei, rannte er wieder zum Schloß zurück in der Erwartung, daß sich dort inzwischen neue Dinge ereignet haben mochten.
Die Gasse war noch immer öde und leer; die Gartentür
geschlossen; auf der anderen Seite der Hecke bellte ein Kettenhund. Aber d'Artagnan war, ohne sich daran zu kehren, mit einem Satz hinüber und näherte sich der hinter dem Gartenhaus gelegenen Hütte. Er pochte. Zuerst gab niemand Antwort. Nach einer Weile aber schien es, als wenn sich im Innern der Hütte leise etwas regte. D'Artagnan rief, aber es
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wurde wieder still. D'Artagnan pochte wieder, dann bat er, so angstvoll, so schmeichlerisch, und versprach so viel Gutes und Liebes für eine Auskunft, daß auch der Verstockteste, der Furchtsamste nicht ungerührt bleiben konnte. Ein alter Fensterladen, vom Wurm schon zerfressen, wurde ein wenig gelupft, aber gleich wieder geschlossen, als aus einem Winkel der Schein einer kleinen Lampe auf d'Artagnans Wehrgehänge und Pistolenläufe fiel. Aber den Blick von einem Greisenhaupt zu erhäschen, fand d'Artagnan doch Zeit genug. »Im Namen des Himmels, Mann, öffnet mir!« rief er. »Hören Sie mich! Ich warte auf jemand, der nicht kommt! Ich sterbe vor Ungeduld!
Sollte hier etwa ein Unglück geschehen sein? Reden Sie, bitte!
Sprechen Sie!«
Langsam öffnete sich das Fenster, und das nämliche Gesicht kam wieder zum Vorschein; nur war es noch blasser als das erste Mal. D'Artagnan erzählte, was ihn hergeführt, daß er sich mit einer jungen Frau hier treffen wollte, daß er, da sie nicht gekommen sei, auf die Linde geklettert sei und im
Lampenschimmer die Unordnung in der Stube gesehen habe.
Der Greis hörte aufmerksam zu, hin und wieder nickend, daß es schon so sein möge, wie d'Artagnan erzählte. Als dieser fertig war, wiegte er den Kopf hin und her mit einer Miene, die nichts Gutes verhieß... »Was wollen Sie sagen?« rief d'Artagnan; »im Namen des Himmels reden Sie, reden Sie!«
»Oh, Herr!« sagte der Greis, »fragen Sie mich nichts, denn wollte ich Ihnen sagen, was ich gesehen habe, käme sicher für mich nichts Gutes heraus!« – »Sie haben also etwas gesehen?«
rief d'Artagnan; »dann, im Namen des Himmels!« fuhr er fort und warf ihm ein Goldstück zu, »sagen Sie, was Sie gesehen haben, und ich gebe ihnen mein Edelmannswort, daß keines Ihrer Worte den Weg über meine Lippen finden soll!«
Der Greis las auf d'Artagnans Gesicht soviel Schmerz und Freimut, daß er ihm winkte, still zu sein, und ihm erzählte: »Es war gegen neun. Da hörte ich Wagengerassel, und sah, durch
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einen Türspalt lugend, im Schatten eine Kutsche und drei Reitpferde halten. Kurz darauf sah ich drei Männer im
Reitkostüm, denen die Pferde gehören mochten, auf meine Tür zukommen. Sie verlangten eine Leiter von mir, und als ich ihren Wunsch erfüllte, gab mir einer von ihnen einen Taler, schärfte mir aber ein, keinen Fuß aus meiner Hütte zu setzen, wenn mir mein Leben lieb sei. Als sie verschwunden waren, konnte ich aber, aus Furcht, daß etwas Schlimmes im Werke sei, den Drang, hinauszugehen, nicht überwinden, und
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