Die drei Musketiere
huschte hinter den Wacholderbusch, in dessen Schatten ich alles sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Ein kleines, dickes, aber ärmliches Männchen wurde jetzt aus dem Wagen gezogen und zur Leiter geführt. Derjenige von den drei Männern, der die Leiter von mir gefordert und mir den Taler zugeworfen hatte, hieß ihn hinaufsteigen. Der Mann gehorchte, aber es fiel ihm schwer, die Leiter zu ersteigen; endlich kam er wieder herunter, nachdem er oben behutsam in das Zimmer gelugt hatte; und sagte leise: ›Jawohl, sie ist es!‹ Sogleich trat der Mann, der ihn hinaufgeschickt hatte, ans Haustor, schloß auf und verschwand im Innern, während die beiden andern die Leiter hinaufstiegen.
Der kleine alte Mann blieb am Verschlag, der Kutscher hielt die Pferde, ein Diener die drei Reitpferde. Plötzlich drang aus dem Gartenhaus lautes Geschrei; ich sah eine Frau ans Fenster stürzen, als wenn sie sich durch dieses flüchten wollte. Als sie die beiden Männer aber auf der Leiter stehen sah, fuhr sie zurück; die beiden sprangen nun ins Zimmer hinein. Nun sah ich nichts mehr, hörte aber in dem Raum oben heftigen Lärm, wie wenn ein wilder Kampf stattfände. Eine Frau schrie dann ein paarmal hintereinander um Hilfe; dann aber verstummte das Schreien. Ich sah, wie die Frau von den drei Männern zum Fenster hinausgeschoben und die Le iter hinuntergeschleppt, dann in den Wagen hineingeschoben wurde, in der der kleine Alte hinter ihr her stieg. Der eine von den Männern überzeugte sich, daß die Frau auch wirklich im Wagen war, gab dem
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Kutscher einen Wink, schwang sich mit seinen beiden
Kameraden auf die Pferde, und dann ging's im Galopp fort.
Seitdem habe ich nichts mehr gehört und nichts mehr gesehen.«
Überwältigt von der schrecklichen Nachricht, stand
d'Artagnan erst stumm und starr, während in seinem Herzen alle Teufel des Zornes und der Eifersucht rasten. Dann fragte er:
»Kennt Ihr den Schuft, der den teuflischen Anschlag vollführt hat?« – »Nein, es war ein großer, hagerer Mann, brünett, mit dunklem Schnauzbart, schwarzen Augen, aber ein echter
Kavalier«. – »Ha, er ist's!« rief d'Artagnan, »er und immer er!
Mein böser Dämon, scheint es! Und der andere?« – »Welcher?«
– »Der kleine Alte.« – »Oh, das war keiner von Adel, ganz gewiß nicht! Er trug keinen Degen und wurde auch nicht sonderlich respektiert.« – »Irgendein Lakai wahrscheinlich«, brummte d'Artagnan vor sich hin. – »Oh, die arme Frau! Was haben sie mit ihr angefangen?« – »Nun, umgebracht haben sie sie nicht! Dafür stehe ich, denn das hätten sie doch, wenn sie es wollten, hier besser tun können, als irgendwo sonst; aber, Herr«, sagte der Greis, »Sie haben mir versprochen, reinen Mund zu halten!« – »Dieses Versprechen wiederhole ich. Seien Sie unbesorgt, mein Lieber! Ich bin Edelmann, und jeder Edelmann hält sein Wort.«
Es war fast Mitternacht, als d'Artagnan, in tiefster Seele verwundet, den Weg nach der Fähre einschlug, um seinen Pagen zu suchen. Aber er fand ihn in keiner der Schenken, und in der sechsten, des Suchens müde, setzte er sich in eine Ecke, ließ sich eine Flasche Wein geben und lauschte aufmerksam auf die mit groben Späßen und Flüchen gemischte Unterhaltung der Schiffer und Fischer, Arbeiter, Diener und Fuhrleute, die hier das Publikum bildeten. Aber seine Hoffnung, auf diese Weise Kunde über das Abenteuer zu erhalten, das sich in unmittelbarer Nähe abgespielt hatte, sollte sich nicht erfüllen. Es fiel kein Wort darüber, und, um kein Aufsehen zu erregen, trank er in aller Muße seine Flasche aus und suchte in seinem Winkel ein
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paar Stunden zu schlafen. In dem Alter, in dem d'Artagnan stand, hat der Schlaf noch unbezwingliche Stärke über das menschliche Gemüt, und hielt ihn bis zur sechsten
Morgenstunde gefangen. Dann brachte er schnell seinen Anzug in Ordnung, überzeugte sich, daß er seinen Diamant noch am Finger, seine Börse in der Tasche und seine Pistolen noch im Gürtel ha tte – zahlte seine Zeche, sah sich, in der Hoffnung, jetzt mehr Glück zu haben als in der Nacht, nach seinem Pagen um und wurde seiner auch alsbald in dem feuchten, grauen Nebel vor der Tür einer kleinen Kneipe ansichtig, wo er mit den beiden Pferden stand und wartete. In der Nacht war d'Artagnan an dem unscheinbaren Häuschen vorbeigegangen, ohne eine Schenke darin zu vermuten.
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Porthos
D'Artagnan begab sich nicht gleich nach Hause, sondern stieg im Palais
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