Die drei Musketiere 2
bildete, grüßte mit ausdruckvoller Gebärde seine Freunde, denen er mit den Augen folgte, und Monsieur de Treville, der ihn sogleich erkannte.
Nachdem der festliche Empfang vorüber war, lagen sich die vier Freunde bald in den Armen.
»Bei Gott, zu einer besseren Zeit konntet ihr nicht kommen!«
rief d’Artagnan, »die Speisen können noch nicht kalt geworden sein, nicht wahr, Messieurs?« fügte er hinzu, indem er sich zu den zwei Gardisten wandte, die er seinen Freunden vorstellte.
»Ei, ei, es scheint, da ist getafelt worden«, sagte Porthos.
»Ich hoffe«, meinte Aramis, »es sind keine Frauen bei Eurem Mahl.« – »Habt Ihr einen trinkbaren Wein in Eurem Nest?«
fragte Athos. – »Ihr bekommt den eurigen zu trinken, lieber Freund«, antwortete d’Artagnan.
»Unsern Wein?« erwiderte Athos erstaunt. – »Nun ja, den Wein, den ihr mir geschickt habt.« – »Wir haben Euch Wein geschickt?« – »Aber Ihr wißt doch, jenen leichten Wein, von den Hügeln von Anjou.« – »Ja, ich kann mir wohl denken, welc he Sorte Ihr meint.« – »Es ist der Wein, den Ihr so gern trinkt.« – »Freilich, wenn ich weder Champagner noch Chambertin habe.« – »Nun, in Ermangelung von Champagner und Chambertin werdet Ihr Euch mit diesem begnügen.«
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»Ihr habt Euch also Anjouwein kommen
lassen,
Feinschmecker, der Ihr seid?« sagte Porthos. – »Aber nein! Es ist der Wein, den ihr mir geschickt habt.« – »Wir?« riefen die drei Musketiere.
»Aramis. habt Ihr Wein geschickt?« fragte Athos. – »Nein, Ihr etwa, Porthos?« – »Nein, und Ihr, Athos?« – »Nein.«
»Wenn er nicht von euch kam, so kam er von eurem Wirt.« –
»Von unserem Wirt?« – »Nun ja, von eurem Wirt, Godeau, dem Gastwirt der Musketiere.« – »Meiner Treu«, sagte Porthos,
»mag er herkommen, wo er will, was liegt daran? Wir versuchen ihn, und wenn er gut ist, trinken wir ihn.« – »Nein«, sagte Athos, »wir wollen keinen Wein trinken, der aus unbekannter Quelle stammt.« – »Ihr habt recht, Athos«, sagte d’Artagnan.
»Es hat also niemand von euch dem Gastwirt Godeau den Auftrag gegeben, mir Wein zu schicken?«
»Nein, und doch hat er Euch welchen in unserem Namen geschickt?« – »Da ist der Brief!« sagte d’Artagnan. Und er hielt seinen Kameraden das Schreiben hin.
»Das ist nicht seine Schrift!« sagte Athos, »ich kenne sie, denn ich habe vor dem Abmarsch die Rechnungen bezahlt.« –
»Ein gefälschter Brief«, sagte Porthos, »wir waren nicht eingesperrt.« – »D’Artagnan«, warf Aramis in vorwurfsvollem Ton ein, »wie habt Ihr glauben können, daß wir gelärmt haben?«
D’Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern ging durch seinen Körper.
»Du erschreckst mich«, sagte Athos, der ihn nur bei außergewöhnlicher Gelegenheit duzte. »Was ist denn
vorgefallen?« – »Eilen wir, eilen wir, liebe Freunde!« rief d’Artagnan, »ein fürchterlicher Verdacht steigt in mir auf! Sollte das ein neuer Racheakt dieser Frau sein?« – Nun erbleichte auch Athos.
D’Artagnan eilte zu der Schenke, die drei Musketiere und die zwei Gardisten folgten ihm. Das erste, was d’Artagnan bei 100
seinem Eintritt in das Speisezimmer sah, war Brisemont, der auf dem Boden lag und sich in schrecklichen Krämpfen wand.
Planchet und Fourreau, die totenbleich aussahen, suchten ihm zu helfen, aber es war klar, daß jede Hilfe vergeblich war, das Gesicht des Unglücklichen war durch den Todeskampf ganz verzerrt.
»Ach«, rief er bei dem Anblick d’Artagnans, »ach, das ist schändlich, zuerst tatet Ihr, als ob Ihr mir das Leben schenken wolltet, und dann vergiftet Ihr mich!« – »Ich?« rief d’Artagnan,
»ich? Unglücklicher! Was sagst du da?« – »Ich sage, daß Ihr mir den Wein gegeben habt, ich sage, daß Ihr mich aufgefordert habt zu trinken, ich sage, daß Ihr Euch an mir rächen wolltet, und ich sage, das ist schändlich!«
»Glaubt das nicht, Brisemont«, rief d’Artagnan, »glaubt das nicht. Ich versichere Euch, ich schwöre Euch …« – »Oh, aber es lebt noch ein Gott! Gott wird Euch strafen! Mein Gott! Möge er einst leiden, was ich leide!«
»Bei dem Evangelium«, rief d’Artagnan, sich auf den Sterbenden stürzend, »schwöre ich Euch, ich hatte keine Ahnung davon, daß der Wein vergiftet war, und ic h wollte selbst davon trinken wie Ihr.« – »Ich glaube Euch nicht«, erwiderte der Soldat. Und mit diesen Worten verschied er unter unsäglichen Schmerzen.
»Schrecklich!
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