Die drei Musketiere 2
fragte Aramis.
»Die Fahne! Mord und Teufel! Man darf keine Fahne in den Händen des Feindes lassen, selbst wenn es nur eine Serviette ist.«
Und Athos stürzte in die Bastei, erstieg die Plattform und nahm die Fahne ab. Da die Rocheller aber in Schußweite gekommen waren, eröffneten sie ein furchtbares Feuer auf diesen Mann, der sich wie zum Vergnügen den Schüssen auszusetzen schien. Doch es war, als würde Athos durch einen Zauber beschützt; die Kugeln flogen zischend um ihn her, keine einzige berührte ihn. Er schwang seine Fahne dem Feind entgegen. Da erscholl von zwei Seiten ein mächtiges Geschrei, von den Rochellern das der Wut, vom Lager das der
Begeisterung. Eine zweite Ladung folgte der ersten, und drei Kugeln durchlöcherten die Serviette und machten sie so zu einer rechten Fahne.
Das ganze Lager rief: »Steigt herab, steigt herab!«
Athos stieg herab, seine Kameraden, die ängstlich seiner harrten, sahen ihn zu ihrer Freude wiedererscheinen.
»Vorwärts, Athos, vorwärts!« rief d’Artagnan, »ziehen wir uns zurück, jetzt wäre es töricht, wenn wir uns töten ließen.«
Aber Athos fuhr fort, voll Würde und langsam
einherzuschreiten, und da seine Gefährten sahen, daß jedes Wort umsonst war, so paßten sie ihren Gang dem seinen an. Nach einem Augenblick vernahm man das Knattern eines furchtbaren Gewehrfeuers.
»Was ist das?« fragte Porthos, »und wonach schießen sie? Ich höre die Kugeln nicht pfeifen, und sehe niemanden.«
»Sie schießen nach unseren Toten«, antwortete Athos.
»Aber die Toten werden nicht antworten.«
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»Ganz richtig, dann glauben sie an einen Hinterhalt, beratschlagen, schicken einen Parlamentär ab, und wenn sie hinter die Wahrheit kommen, sind wir außer dem Bereich der Kugeln. Es ist daher unnötig, uns zu übereilen.«
»Oh! Nun begreife ich«, rief Porthos erstaunt.
»Das ist ein Glück«, sagte Athos, die Schultern zuckend.
Als die Franzosen ihre vier Freunde im Schritt
zurückkommen sahen, erhoben sie ein Freudengeschrei. Jetzt vernahm man ein neues Musketenfeuer, die Kugeln prallten diesmal rechts und links von den vier Freunden gegen die Steine und zischten unheilschwanger in ihren Ohren. Die Rocheller hatten sich der Bastei bemächtigt.
»Das sind sehr geschickte Leute«, sagte Athos. »Wievie l haben wir getötet?« – »Zwölf bis fünfzehn.« – »Wieviel haben wir niedergeschmettert?« – »Acht bis zehn.« – »Und dafür nicht einmal eine Schramme? Doch was habt Ihr an der Hand, d’Artagnan? Blut, wie mir scheint.« – »Es ist nichts.« – »Eine verirrte Kugel?« – »Nicht einmal.« – »Was ist es denn?«
»Eine Hautabschürfung«, antwortete d’Artagnan, »meine Finger sind zwischen zwei Steine gekommen, zwischen den der Mauer und den meines Ringes, da wurde die Haut geritzt.«
»Das kommt davon, daß man Diamanten trägt«, sagte Athos.
»Ah! Wirklich«, rief Porthos, »er besitzt Diamanten? Und warum zum Teufel klagen wir da, daß wir kein Geld haben?«
»Ganz richtig«, sagte Aramis.
»Das ist gut, Porthos, diesmal habt Ihr einen Einfall.«
»Ganz gewiß«, sagte Porthos, stolz auf Athos’ Anerkennung,
»da er einen Diamanten hat, so wollen wir ihn verkaufen.«
»Aber es ist der Diamant der Königin.«
»Ein Grund mehr«, versetzte Athos. »Die Königin rettet Buckingham, ihren Liebhaber, nichts ist billiger, die Königin rettet uns, ihre Freunde, nichts ist begründeter. Verkaufen wir den Diamanten. Was meint der Herr Abbé?«
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»Ich denke«, antwortete Aramis errötend, »daß d’Artagnan den Ring, da er nicht von seiner Geliebten kommt und also kein Liebespfand ist, verkaufen kann.«
»Gut!« rief d’Artagna n heiter. »Verkaufen wir den Diamanten und reden wir nicht mehr davon.«
Das Gewehrfeuer dauerte an, aber die Freunde befanden sich außerhalb der Schußweite, und die Rocheller schossen nur, um ihr Gewissen zu entlasten.
»Wahrhaftig, es war Zeit, daß Porthos auf diese Idee kam, wir sind im Lager. Also, Messieurs, kein Wort mehr von der ganzen Geschichte. Man bemerkt uns, man kommt uns entgegen, man wird uns im Triumph hineintragen!«
In der Tat war, wie bemerkt, das ganze Lager in Bewegung.
Mehr als zweitausend Personen hatten das waghalsige Unternehmen der vier Freunde wie ein Schauspiel verfolgt. Man hörte nichts als den Ruf: »Es lebe die Garde! Es leben die Musketiere!« Monsieur de Busigny war der erste, der herbeikam, um Athos die Hand zu drücken und die Wette für verloren zu
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