Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
»Rufe ich?« fragte d'Artagnan. »Träume sind Schäume. Ich interessiere mich eben immer noch für meine alten Freunde.« – »Schon recht, aber darüber darf man nicht mager werden,« versetzte der Handelsmann. »Machen Sie es wie ich; schaffen Sie sich Zerstreuung. Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mich zu gewissen Zeiten entferne?« – »Ja. Am 15. und 30. jedes Monats.« – »Und zu welchem Zwecke? Was meinen Sie wohl?« – »Ei, in Geschäftssachen. Ich denke mir, du kaufst Reis, Zucker, Pflaumen, Sirup und so weiter. Ich wundere mich gar nicht mehr, daß du ein Krämer geworden bist. Dieser Beruf bringt viel Abwechslung und versüßt das Leben im buchstäblichen Sinne.« – »Sie irren sich,« schmunzelte Planchet, »Einkäufe stecken nicht dahinter. Nein, ich gehe dann immer auf mein Landhaus.« – »Was? Du hast ein Landhaus?« – »In Fontainebleau, ja.« – »Da komme ich ja her.« – »Ja, und nun sollen Sie mit mirwieder hin. Es ist sehr hübsch auf meinem Landhause. Sie werden sich amüsieren, ich gebe Ihnen mein Wort darauf.« – »Du bist ein toller Kerl, Planchet,« rief d'Artagnan, »ich bin doch nun schon viele, viele Jahre mit dir bekannt, und doch kenne ich dich noch nicht. Wie ich schon damals sagte, als du in Boulogne den Schurken Lubin, den Kammerdiener von Wardes' um ein Haar erwürgtest, du bist unerschöpflich an gescheiten Einfällen. Schön, ich komme mit!«
Aber als d'Artagnan sich auf seinem Zimmer befand, dachte er schon nicht mehr an die Zerstreuung, die Planchet für ihn im Sinne hatte, sondern seine Gedanken weilten abermals bei jenen Rätseln, die ihm in der letzten Zeit so sehr viel Kopfzerbrechen gemacht hatten. Wenn Planchet in dieser Nacht an der Tür des Chevaliers gehorcht hätte, wäre er von neuem auf den Herrn d'Herblay böse geworden; denn der Musketier träumte abermals von ihm, und als er am Morgen erwachte, wiederholte er sich: »Diese drei Rätsel lassen mir nun einmal keine Ruhe; ich muß sie ergründen. Erstens: Was hat Aramis mit Baisemeaux zu tun? Zweitens: Warum läßt Aramis gar nichts von sich hören? Drittens: Wo steckt Porthos? Da meine Freunde sich im verborgenen halten, so muß ich all meinen Scharfsinn anwenden.«
Am folgenden Morgen begab er sich zunächst in die Bastille, um Herrn Baisemeaux einen Besuch zu machen und ihn ein wenig auszuhorchen. Aber der Gouverneur der Bastille war kalt und undurchdringlich wie die Mauern seiner Kerker: es war nichts aus ihm herauszubringen. Als d'Artagnans Fragen ihm lästig wurden,entfernte er sich mit dem Vorwand, sich seinen Gefangenen widmen zu müssen, und blieb so lange weg, daß der Chevalier die Geduld verlor und die Bastille verließ, ohne Baisemeaux' Rückkehr abzuwarten. Da er sich sagte, Baisemeaux würde nichts Eiligeres zu tun haben, als Aramis von seinem – d'Artagnans – Besuch Nachricht zu geben, so wartete er in der Nähe des Gefängnistors, ob ein Bote erscheinen würde. Er irrte sich nicht. Nach einer Stunde etwa erschien ein Soldat, der einen Brief im Gürtel trug und sogleich die Richtung nach der Vorstadt Saint-Antoine einschlug. Ohne Frage betraf dieser Brief ihn, den Kapitän der Musketiere. Aber wie sollte er ihn in die Hände bekommen?
Während er noch darüber nachsann, kam ihm der Zufall zu Hilfe. Zwei Schutzleute erschienen, die einen anscheinend den besseren Kreisen angehörenden Mann zwischen sich führten. Als der Verhaftete den Soldaten erblickte, rief er ihn um Hilfe an, stürzte auf ihn zu und klammerte sich an ihm fest. Sofort sammelte sich eine Menge Volkes an, die teils für die Schutzleute, teils für den Gefangenen Partei ergriff. D'Artagnan zauderte nicht, sich die entstehende Verwirrung zunutze zu machen, trat von hinten an den Soldaten heran und entriß ihm den Brief. Dann eilte er in den nächsten Hausflur, öffnete das Schreiben, ohne das Siegel zu verletzen, und las folgendes: »An Herrn du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. – Lieber Herr Baron, lassen Sie Herrn d'Herblay wissen, Er sei dagewesen und habe versucht, auf den Strauch zu klopfen. Ihr ergebener Baisemeaux.« – »So!« sagte d'Artagnan, »nun weiß ich Bescheid, und nun brauche ich den Brief nicht mehr. Der arme Soldat soll meinetwegen nicht in die Patsche kommen.«Er trat auf die Straße und ließ das Papier fallen.
Der Streit war inzwischen zugunsten der Schutzleute entschieden worden, die ihren Häftling weiterführten. Der Soldat ging wieder seines Weges. Nach einigen Schritten
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