Die drei Musketiere
die Abgründe des Herzens dieses Weibes erleuchtet. Felton gedachte auf einmal der Bemerkungen des Lord Winter, der Verführungen Myladys, und ihrer ersten Versuche, als sie ankam. Er trat einen Schritt zurück, senkte den Kopf, unterließ es aber dabei nicht, sie anzublicken, als wäre er von diesem seltsamen Wesen verzaubert, und als könnten sich seine Augen von ihr nicht losmachen. »Doch nein,« sagte sie, »mir geziemt es nicht, die Judith zu sein, die Bethulien von diesem Holofernes befreien wird. Das Schwert des Ewigen ist meinem Arme zu schwer. Lassen Sie mich also der Schande durch den Tod entgehen, lassen Sie mich zum Märtyrertum meine Zuflucht nehmen. Ich begehre von Ihnen nicht die Freiheit, wie dies eine Schuldige täte, nicht die Rache, wie es eine Heidin tun würde. Ich bitte Sie, ich bestürme Sie auf meinen Knien, lassen Sie mich sterben, und mein letzter Seufzer sei noch ein Segen für meinen Erretter.« Bei dieser sanften, bittfälligen Stimme, bei diesem schüchtern gesenkten Blick trat Felton näher. Die Zauberin hatte sich allmählich mit jenem magischen Gewand angetan, das sie nach Gefallen anlegte und ablegte, nämlich die Schönheit, die Sanftmut, die Tränen, vor allem aber jenen unwiderstehlich mystischen Reiz,der verzehrender als jeder andere wirkt. »Ach,« sagte Felton, »ich kann nur eins, Sie beklagen, wenn Sie mir beweisen, daß Sie ein Opfer sind. Allein Lord Winter erhebt wider Sie grausame Anschuldigungen. Sie sind Christin, sind meine Glaubensschwester; ich fühle mich zu Ihnen hingezogen, ich, der ich nie einen andern Menschen geliebt habe, als meinen Wohltäter, ich, der ich auf meinem Lebensweg nur Verräter und Gottesleugner fand! Doch Sie, Madame, die Sie in Wirklichkeit so schön, und dem Anschein nach so rein sind, Sie haben also große Sünden begangen, weil Sie Lord Winter auf eine solche Weise verfolgt?« Da wiederholte Mylady mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Wehmut: »Sie haben Augen und sehen nicht; Sie haben Ohren und hören nicht.«
»O, so reden Sie doch!« rief der junge Offizier, »reden, ach, reden Sie!«
»Soll ich Ihnen meine Schmach anvertrauen?« sprach Mylady; das Antlitz mit Schamröte übergossen, »denn oft wird das Verbrechen des einen zur Schande des andern. Ich soll Ihnen meine Schande anvertrauen, ich, eine Frau einem Mann? Ach,« fuhr sie fort, die Hand verschämt über die schönen Augen breitend, »o, nie – nie werde ich dieses vermögen.«
»Mir, einem Bruder,« versetzte Felton. Mylady blickte ihn lange mit einem Ausdruck an, den der Offizier für Zweifel hielt, da es doch nichts anderes war, als Beobachtung und vorzüglich die Absicht, zu berücken. Jetzt faltete auch Felton die Hände. »Wohlan denn,« rief Mylady, »ich will mich einem Bruder anvertrauen, ich will es wagen.« In diesem Moment vernahm man die Tritte des Lord Winter; allein diemal war der furchtbare Schwager Myladys nicht damit zufrieden, daß er, wie tags zuvor, an der Tür vorbeiging und sich wieder entfernte, sondern er hielt an und wechselte ein paar Worte mit der Wache; die Tür ging auf und er trat ein. Felton hatte sich, während diese paar Worte gewechselt wurden, schnell zurückgezogen, und als Lord Winter eintrat, stand er von der Gefangenen einige Schritte weit entfernt. Der Baron ging langsam in das Zimmer, und ließ seinen Blick von der Gefangenen auf den jungen Offizier hinübergleiten. »Ihr seid schon recht lange hier, John!« sprach er. »Hat Euch diese Frau ihre Missetaten erzählt? Dann begreife ich die Dauer der Unterredung.« Felton zitterte und Mylady fühlte, wenn sie dem aus der Fassung gekommenen Puritaner nicht zu Hilfe käme, so wäre sie verloren, »Ha, Ihr seid in Furcht, daß Euch Eure Gefangene entschlüpfe,« sagte sie. »O, fragt nur Euren Kerkermeister, welche Gnade ich mir eben von ihm erbat.«
»Hm, Ihr batet um eine Gnade?« fragte der Baron argwöhnisch. »Ja, Mylord,« versetzte der junge Mann befangen. »Um welche Gnade? sagt an,« sprach Lord Winter. »Ein Messer, das sie mir eine Minute, nachdem sie es bekommen, durch das Gitter der Tür wiederzurückreichen will,« entgegnete Felton. »Ist also hier jemand versteckt, den diese allerliebste Person totstechen will?« erwiderte Lord Winter in einem höhnischen und verächtlichen Ton. »Ich bin hier,« versetzte Mylady. »Ich ließ Euch die Wahl zwischen Amerika und Tyburn, sagte Lord Winter. »Wählt Tyburn, Mylady, glaubt mir, der Strang ist sicherer als das Messer.« Felton
Weitere Kostenlose Bücher