Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
nehmen die kleinen Schlingel oft die Züge ihrer Großeltern an, wenn dieselben hübsch sind. So
was weiß sich zu helfen, und so fand denn auch der Färber bald heraus, daß die Kleinen einem seiner Onkel glichen, der ehemals Pfarrer an der Notre-Dame von Esgrignolles war. Einigen Witzbolden zu glauben, waren aber die beiden Sprößlinge die ausgeschlüpften Ebenbilder eines hübschen Pfäffleins aus der Pfarrei Notre-Dame La Riche, einem berühmten Ort zwischen Tours und dem königlichen Schloß Le Plessis.
Und nun, glaubt mir das eine und prägt es tief in euer Gedächtnis ein – und wenn ihr in dem ganzen Buch nichts gefunden, aufgelesen und zu euch gesteckt haben solltet als diese eine Wahrheit, die eine Wahrheit von Grund aus ist, so könnt ihr euch schon glücklich schätzen –, nämlich das eine: daß der Mensch nicht leicht seine Nase entbehren kann, id est, daß er ohne Rotz nicht auskommt, das heißt, daß er immer Mensch bleiben wird und daß er also per saecula saeculorum fortfahren wird, zu lachen und zu trinken und immer als derselbe in seinem Hemd zu stecken, nicht besser und nicht schlechter als von allem Anfang an, kurz, daß er sich immer in demselben Kreis drehen wird. Doch das ist nur die Präambel meiner Wahrheit, die ich euch so vorsichtig als möglich beibringen muß, um euch nicht vorzeitig scheu zu machen, und die darin besteht, daß dieser liebe Zweihänder oder Zweibeiner immer und zu allen Zeiten das für das Wahre und Richtige halten wird, was seine Leidenschaften kitzelt, was seiner Liebe dient und seinem Hasse schmeichelt. Und die Logik daraus?
Am ersten Tage also, als der bucklige Carandas die Kinder seines Gevattermanns sah und den hübschen Priester, sah er auch die schöne Färberin und den Taschereau, wie sie alle zusammen rund um den Tisch saßen, wie auch, daß die Tascherette zu seinem Leidwesen das schönste Lendenstück der Lamprete ihrem geistlichen Freund zuschob mit einem gewissen Ausdruck im Blick; da brauchte dem Neidhammel niemand zu sagen, daß sein Gevatter Hahnrei geworden, daß die Tascherette mit ihrem Beichtvater unter einer Decke stak, in jedem Sinn, und daß der Weihwasserschwengel des Pfaffen und die Kinder der Färberin eine geheime Beziehung zueinander haben mußten.
›Aber ich werde ihnen zeigen‹, sagte er bei sich, ›daß die Buckligen etwas haben, was den andern abgeht.‹
Und das war so wahr, wie es wahr ist, daß die Stadt Tours sich immer in der Loire gespiegelt hat und spiegeln wird gleich einem hübschen badenden Mädchen, das mit dem Wasser spielt und es peitscht mit seinen weißen Händen, flick, flack; denn diese lachende, lustige, verliebte Stadt, diese frische, blühende, diese Stadt voller Wohlgerüche ist schöner als alle andern Städte der Welt, die nicht einmal würdig sind, ihr das Haar zu kämmen oder ihr die Schuhriemen aufzulösen. Ihr werdet finden, wenn ihr die Stadt besucht, daß mitten hindurch eine breite Zeile führt, eine ganz entzückende Straße, wo die schöne Gesellschaft lustwandelt, wo es zu aller Zeit Wind und Regen, Sonne und Schatten gibt und die Liebe zwischen den Pflastersteinen wächst. Ihr lacht? Geht doch hin. Es ist das eine immer neue, immer königliche, immer kaiserliche, immer vaterstädtische Straße, eine Straße mit zwei Bürgerwegen, eine Straße, die offen ist an beiden Enden, eine wohlgezogene, wohlgebaute Straße, eine Straße, so breit, daß noch niemand darin ›Achtung!‹ gerufen hat, eine Straße, die sich niemals abnützt und die zur Abtei Grand-Mont führt und zu einem Graben, der fein mit der großen Brücke zusammengeht und an dessen Ende ein schöner Marktplatz liegt; die Straße ist wohlgepflastert und gepflegt, immer sauber gespült, immer blank wie ein Spiegel, einsam oder ganz voller Menschen, alles zu seiner Zeit, es ist eine kokette Straße, die sich bei Nacht noch fein ausnimmt in der Spitzenhaube ihrer blauen Dächer; kurz, es ist die Straße, in der ich geboren bin, es ist die Königin der Straßen, schön, zwischen Himmel und Erde, eine Straße mit einem Springbrunnen, eine Straße, der nichts fehlt, um gerühmt zu werden vor allen Straßen der Welt. Sie ist im Grund die wahre Straße, die einzige Straße von Tours. Es gibt wohl noch andere, aber sie sind schwarz und krumm, eng und feucht, und sie kommen alle demütig herangekrochen, um dieser einzigen vornehmen Straße zu huldigen und von ihr Befehle zu erwarten ... Aber wo stehe ich? Ach ja, einmal in dieser Straße,
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