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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wieder einen Gesprächsstoff, in dem die Liebe den Hauptgegenstand bildete.
    »Wünscht Ihr Euch nicht ein zweites Kind?« flüsterte Jehan in so günstigem Augenblick seiner Cousine ins Ohr, das er mit seinen heißen Lippen streifte.
    »Ach, Sylvia, ich würde gern Höllenqualen erdulden, wenn der Herr sie mir auferlegte, nur um noch ein Kind zu bekommen. Aber trotz aller Anstrengungen, trotz aller Arbeit und Mühe, die sich mein Gemahl damit macht und die mir wenig Freude bereiten, will sich meine Gestalt nicht im geringsten mehr ändern. Ach, es ist nichts, nur ein einziges Kind zu haben. Wenn ich einen Schrei im Schlosse höre, so meine ich, das Herz stehe mir still. Ich lebe in beständiger Angst um meinen Liebling, ich fürchte überall Gefahren für ihn, sei es von Menschen oder von Tieren, ich zittre bei seinen Waffenspielen, seinen Reitübungen, einfach bei allem. Ich atme allein nur in ihm, nur für ihn bete ich zu den Heiligen und Aposteln. Aber laßt mich schweigen, ich würde sonst kein Ende finden, Euch mein Leid zu klagen, denn meine Seele, so scheint mir, wohnt nur noch in ihm, nicht in mir.«
    Während sie also sprach, drückte sie den Kleinen an ihre Brust mit einer Inbrunst und Zärtlichkeit, deren kein andres Wesen als nur eine Mutter fähig ist. Wenn ihr daran zweifelt, so betrachtet einmal eine Katze, die ihr Junges im Maule trägt, und ihr werdet meiner Beobachtung recht geben. Der gute Jüngling aber fühlte sein Gewissen durch diese Reden der Dame auffallend beruhigt. Hatte er vorher gezweifelt, ob er recht daran tue, diese nach Regen dürstende blumige Wiese mit dem Wasser der Lust zu begießen, so schien es ihm jetzt, als ob er dem Befehl Gottes gehorche, indem er dieser einsamen Seele die Liebe lehrte, und er hatte nicht unrecht.
    Nach dem Abendbrot forderte Berthe ihre Muhme auf, mit ihr, der Sitte jener Zeit gemäß (wovon die Damen inzwischen abgekommen sind), das Lager in dem großen ehelichen Bett zu teilen, und die falsche Sylvia erwiderte, um nicht aus ihrer Rolle des wohlerzogenen vornehmen Mädchens zu fallen, daß ihr dies eine große Ehre sei.
    Als die Abendglocke geläutet hatte, zogen sich die beiden also in das mit kostbaren Teppichen und seidenen Vorhängen reich ausgestattete Schlafgemach zurück, wo sich Berthe unverzüglich von ihren Kammerzofen entkleiden ließ, während Sylvia sich dessen schamhaft weigerte, indem sie dunkel errötete. Seit ihr vielgeliebter Freund, log sie, ihr nicht mehr diesen Dienst leiste, habe sie sich daran gewöhnt, sich allein zu bedienen, denn jeder dieser Handgriffe rufe eine süße Erinnerung in ihr wach: zärtliche Worte, mit denen ihr Liebster ihr geschmeichelt, und verliebte kleine Tollheiten, wenn er sie des letzten Kleidungsstückes entledigt hatte.
    Über diese Rede erstaunte sich Berthe höchlich, ließ aber ihre Muhme gewähren, die hinter den Bettvorhängen ihre Abendandacht verrichtete und dann, ganz flammend von Begierde, sich unter der Bettdecke verbarg, glücklich, durch einen Spalt des Vorhangs etwas von den wunderbaren Reizen der Schloßherrin erspähen zu können. Berthe, im guten Glauben, in der Gesellschaft eines Mädchens zu sein, benahm sich ganz wie sonst; sie wusch ihre Füße, ohne darauf zu achten, ob sie dieselben ein wenig höher oder niederer aufhob, zeigte ihren feinen Hals mit den zarten Schultern und tat danach, was alle Damen tun, ehe sie schlafen gehen. Endlich schlüpfte sie ins Bett und streckte sich bequem aus, nachdem sie ihre Muhme auf die Lippen geküßt, die ihr auffallend heiß erschienen.
    »Seid Ihr krank, Sylvia? Ihr glüht ja wie im Fieber.«
    »Ich glühe immer so, wenn ich mich zu Bett lege«, antwortete Sylvia, »denn da kommen mir alle die süßen und feurigen Zärtlichkeiten wieder ins Gedächtnis, die mein Liebster erfand, um mich damit zu beglücken.«
    »Oh, meine Muhme, erzählt mir doch ein wenig von dieser Liebe. Ich lebe ja im Schatten eines grauen Hauptes, das wird mich schützen vor den verzehrenden Flammen. Und Ihr, Ihr seid ja geheilt von der Liebe, Ihr tut ein gutes Werk, wenn Ihr mir Eure schlimmen Erfahrungen anvertraut; dies wird Euch und mir zum Heile sein.«
    »Ich weiß nicht, ob ich Euch willfahren soll, schöne Muhme«, erwiderte der Geselle.
    »Sagt, warum nicht?«
    »Ach, es ist besser, diese Dinge zu tun, als darüber zu sprechen«, sprach Sylvia mit einem Seufzer, der aus dem innersten Herzen zu kommen schien. »Und dann hat dieser Mylord mich so mit Glück überhäuft,

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