Die dreizehnte Gabe: Der Dunkle Wald (Die 13. Gabe) (German Edition)
schwor sich, eines Tages
dorthin zu reisen. Natürlich war der Weg sehr weit und eine
solch lange Reise musste gut vorbereitet werden. Außerdem war
sie mächtig teuer.
Etwas
raschelte leise im Gebüsch. Sie blickte sich um. Nichts war zu
sehen. In der Ferne konnte sie schon den hoch aufragenden Landedock
der Hauptstadt erkennen. Wieder raschelte etwas im Gebüsch am
Wegesrand. War das einer der Grünhauben? Armanda hatte sich
schon immer gefragt, wo sich ihre Station wohl befinden mochte. Einen
Grünhauben sah man nur äußerst selten, fast , als
wären die Geschichten über ihre Existenz lediglich Märchen.
Wieder raschelte es. Armanda blieb stehen und
beugte sich etwas zur Seite, um genauer in die Schatten der Gewächse
am Rande blicken zu können.
»Hallo?«,
flüsterte sie. Sie war nicht ängstlich, eher neugierig.
Wieder erzitterte der Busch, diesmal war ihr das Unbekannte
nähergekommen. Womöglich war das ein kleines süßes
Fabelwesen, das sie ebenso neugierig betrachten wollte, wie Armanda
das vermeintliche Wesen. Als sie sich weiter hinabbeugte, merkte sie
wie die Waren in ihrem schweren Rucksack vornüber kippten. Der
Rucksack versetzte ihrem Hinterkopf einen heftigen Stoß. Leise
fluchend setzte sie ihn ab. Unterdessen wurde das Rascheln in den
Büschen neben ihr lauter. Sie öffnete ihren Rucksack, um
die teuren Waren im Innern zu überprüfen.
Ein
peitschendes Geräusch durchschnitt jäh die Stille im
Dunklen Wald. Blut spritzte auf den Stoff des Beutels, dicht gefolgt
von einem dumpfen Aufprall.
Würde
sich jemand in diesem Moment auf dem Kiesweg befinden, würde er
ein unheimliches Schleifen vernehmen, das immer leiser wurde, dem
schließlich ein heftiges Rascheln der Büsche und wieder
Stille folgte.
Der
nächste Wanderer, der diesen Weg entlangkäme, würde
einen einsamen Rucksack finden und sich wundern, wer in dieser Gegend
einfach so sein Gepäck abstellte. Als Nächstes würde
er in den halb geöffneten Beutel blicken, sich über die
entzückenden kleinen Habseligkeiten darin freuen. Er würde
hineingreifen, eine klebrige Flüssigkeit ertasten, vom Rucksack
zurückweichen, auf seine Hände blicken und die dunkelroten
Blutspuren auf seiner Haut erkennen. Ein befremdliches Kribbeln würde
sich in ihm ausbreiten, mit Seitenblicken würde er versuchen,
auszumachen, was hier geschehen war. Letztendlich würde dieser
Jemand begreifen, dass das hier eine grauenhafte Tat verübt
worden war.
K orbinian
war vor zwanzig Jahren, seit Ende des vierzigwöchigen Krieges,
zum Stadtwalter und somit obersten Führer des Reiches Arcancieel
ernannt worden. Der Hohe Rat hatte ihn auserwählt, das
drittmächtigste Reich des Kontinents zu führen. Er und
seine Frau hatten die Ruinen, die der vierzigwöchige Krieg in
seinem Reich hinterlassen hatte, wieder aufbauen lassen. Der Hohe
Rat, der die Führung in Lunair, dem mächtigsten und
einflussreichsten Königreich in Mandaal, übernommen hatte,
drängte ihn und seine Frau zu Nachwuchs. Schließlich
musste die Erbfolge des Oberhauptes gesichert werden. Nach einigen
verwerflichen Aufträgen und heimlichen Intrigen war es ihnen
gelungen, sich trotz der gebärunfreudigen Frau des Stadtwalters,
Nachwuchs zu verschaffen. Dieses Kind hatten sie fortan als das ihre
ausgegeben. Seither sind neunzehn Jahre vergangen. Seine Frau war
schon etliche Jahre zuvor gestorben. So hatte der Stadtwalter nur
noch seine schweigsame und oftmals grübelnde Tochter. Sie hatte
hüftlanges rotes Haar, ein blasses liebliches Gesicht, das oft
in nachdenkliche Falten gelegt war, und eine melodische Stimme. Er
hatte nur noch einen flaumigen dunklen Haarkranz auf dem Kopf. Er
wälzte seinen massigen Körper gerne in exotischen und
auffälligen Gewändern, was seine Tochter oftmals zu
spöttischen Bemerkungen anstachelte. Sie trug überwiegend
lange grüne Kleider, die ihre schmale Figur betonten. Sie war
wahrlich eine märchenhafte Prinzessin, das Volk blickte
ehrfürchtig zu ihr hinauf und er wusste, dass sie sich damals
das richtige Baby ausgesucht hatten.
Korbinian
saß in dem pompösen Palast an seinem Schreibtisch. Von
seinem Bürofenster aus konnte er die ellenlange Einfahrt
hinabblicken, die schließlich an den hohen Schutzmauern seines
Grundstücks endete. Hinter dem goldenen Gatter lag der
Spatzenplatz, auf dem sich das Volk zu jedem feierlichen Anlass
versammelte und den Worten ihres Stadtwalters lauschte. Korbinian
arbeitete gerade über einem neuen Gesetzesentwurf, der es
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