Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
seine Tochter und siehst es nicht? Er ist wie ein Feuer. Sich selbst überlassen, brennt er bis auf glimmende Asche herunter. Aber ihn anzugreifen bedeutet, Äste und Zweige auf die Flammen zu werfen. Begreifst du das? Sieh nur!« Kesa machte eine Handbewegung über den Flammen, die zu einem flachen Spiegel aus Feuer wurden. Darin sahen sie Waylander, der langsam durch den Tunnel in die Leere watete. »Hier hatte er Angst, denn es gab keine Feinde, nur Dunkelheit. Er war verloren. Keine Erinnerung. Keine Waffen.« Sie beobachteten, wie die winzige Gestalt das Skelett erreichte, sahen, wie der goldhaarige Kopf erschien. »Jetzt schaut zu!« befahl Kesa Khan.
Das Schuppenwesen richtete sich hinter Waylander auf, der sich die Rippe schnappte und sie der Bestie in den Leib rammte. »Jetzt«, sagte der Schamane, »hat er ein Schwert. Jetzt hat er ein Ziel. Er ist umgeben von Feinden. Seine Fähigkeiten sind zielgerichtet. Seht nur, wie er sich bewegt. Wie ein Wolf.«
Schweigend sahen sie zu, wie die kleine Gestalt die Kugel zerstörte und sich die Treppe aus Händen und Klauen hinaufkämpfte. »Das hier fand ich großartig«, kicherte der Schamane, als Waylander den weißgekleideten Priester der Schlange ins Maul warf. »Er wußte es, versteht ihr? In der Dunkelheit, umgeben von Feinden, wußte er, daß es keinerlei Unterstützung gab. Die Tür, die er wählte, war die bewachte. Oh, es ist so vollkommen! In seinen Adern muß Nadirblut fließen! Und Sonnenlicht in die Leere zu rufen … wunderschön. Vollkommen! Zhu Chao zittert jetzt bestimmt. Bei allen Göttern, ich würde es auch!«
»Ich weiß nicht, ob er zittert«, sagte Miriel, »aber ich weiß, daß mein Vater auf dem Weg nach Gulgothir ist. Und dort gibt es keinen Sonnenschein, den er herbeirufen könnte. Zhu Chao wird sich mit bewaffneten Wächtern umgeben. Er wird auf ihn warten.«
»So wie die Götter«, sagte Kesa Khan mit einer Handbewegung. Das Feuer flackerte wieder auf. »Morgen müssen wir die Frauen und Kinder nach Kar-Barzac bringen. Ich habe Anshi Chen eine Botschaft geschickt. Er wird eine kleine Nachhut zurücklassen, um die Pässe zu halten. Fünfzig Männer werden bis zur Dunkelheit hierbleiben, um die Mauer zu verteidigen. Das sollte reichen.«
»Was ist mit meinem Vater?« beharrte Miriel.
»Sein Schicksal liegt in den Händen der Götter«, antwortete Kesa Khan. »Er wird leben oder sterben. Wir können nichts tun.«
»Zhu Chao wird versuchen, ihn durch Magie aufzuspüren«, meinte Miriel. »Kannst du ihn abschirmen?«
»Nein. Die Macht habe ich nicht. Im Tal von Kar-Barzac gibt es tödliche Kreaturen. Ich brauche meine ganze Kraft, um sie in die Berge zu treiben, um für mein Volk den Weg zur Festung frei zu machen.«
»Was für eine Chance hat mein Vater dann?«
»Das werden wir sehen. Unterschätze ihn nicht.«
»Wir müssen doch irgend etwas tun können!«
»Ja, ja. Wir kämpfen weiter. Wir sorgen dafür, daß Zhu Chao seine Energie auf Kar-Barzac konzentriert. Das ist es, was er will. Seine Träume liegen in dieser alten Festung.«
»Wieso?« wollte Angel wissen.
»Die Älteren haben sie gebaut. Sie haben dort große Zauber gewirkt, lebende Dämonen erschaffen, die man als Bastarde kannte und die ihre Kriege für sie austrugen. Tiere, die sie mit Menschen verschmolzen. Eine ungeheure Magie! So groß, daß sie die Älteren letztendlich zerstörte. Aber in Kar-Barzac lebte die Magie weiter und strahlte aus. Ihr werdet es sehen. Sie hat das Tal verzerrt, Bäume deformiert, fleischfressende Schafe und Ziegen geschaffen. Ich habe dort sogar ein Kaninchen mit Fangzähnen gesehen. Nichts kann in diesem Tal leben, ohne zu verderben, sich zu verzerren. Sogar die Festung selbst ist mittlerweile eine Monstrosität. Ihre Granitblöcke sind verformt, als wären sie aus nassem Ton.«
»Wie, bei allen Göttern, können wir dann dorthin gehen?« fragte Angel.
Kesa Khan lächelte, und seine dunklen Augen strahlten. »Irgend jemand war so freundlich, die Magie zu beenden«, sagte er. Er wandte den Blick von ihnen und starrte ins Feuer.
»Was verschweigst du uns?« fragte Miriel.
»Eine ganze Menge«, gab der Schamane zu. »Aber vieles braucht ihr auch nicht zu wissen. Unsere Feinde erreichten Kar-Barzac vor uns. Sie haben die Quelle der Magie beseitigt – ja, und sind dabei gestorben. Jetzt ist es dort sicher. Wir werden seine Mauern verteidigen, und dort wird die Linie dessen fortgesetzt, der die Stämme eint.«
»Wie lange können wir
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