Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
gescheit.
»Darf ich mich an euer Feuer setzen?« fragte er, und Bress hatte ihn willkommen geheißen und ihm getrocknetes Fleisch und einen Kräutertrank angeboten, was der Mann dankbar angenommen hatte. Druss war eingeschlafen, während die beiden Männer sich unterhielten, war aber ein paar Stunden später aufgewacht. Bress schlief, doch der alte Mann saß am Feuer und legte Zweige in die Flammen. Druss rollte sich aus seinen Decken und setzte sich neben ihn.
»Angst vor der Dunkelheit, mein Junge?«
»Ich habe vor nichts Angst«, erklärte Druss.
»Das ist gut«, sagte der alte Mann. »Ich schon. Ich habe Angst vor der Dunkelheit, vor Hunger, Angst vorm Sterben. Mein ganzes Leben lang habe ich vor diesem oder jenem Angst gehabt.«
»Warum?« fragte der Junge fasziniert.
Der alte Mann lachte. »Das ist vielleicht eine Frage! Ich wünschte, ich könnte sie dir beantworten.« Als er ein paar Zweige nahm und sie ins Feuer fallen ließ, sah Druss, daß sein rechter Arm von Narben übersät war.
»Wie bist du daran gekommen?« fragte der Junge.
»War die meiste Zeit meines Lebens Soldat, mein Sohn. Kämpfte gegen die Nadir, die Vagrier, die Sathuli, gegen Piraten und Banditen. Nenn mir einen Feind, und ich habe gegen ihn gekämpft.«
»Aber du hast doch gesagt, du wärst ein Feigling.«
»Das habe ich nie gesagt, Junge. Ich sage, ich hätte Angst. Das ist ein Unterschied. Ein Feigling ist ein Mann, der weiß, was richtig ist, aber zuviel Angst hat, es zu tun. Davon gibt es viele. Aber die schlimmsten von ihnen sind einfach zu erkennen: Sie reden laut, schneiden auf und sind grausam wie die Sünde, wenn sie die Gelegenheit bekommen.«
»Mein Vater ist ein Feigling«, sagte der Junge traurig.
Der alte Mann zuckte die Achseln. »Wenn er es ist, mein Junge, dann wäre er der erste seit langer, langer Zeit, der mich täuscht. Und wenn du meinst, daß er aus dem Dorf verschwunden ist – es gibt Zeiten, wo Davonlaufen das Tapferste ist, was man tun kann. Ich kannte einmal einen Soldaten. Er trank wie ein Fisch, hurte herum wie eine Straßenkatze und kämpfte gegen alles, das gehen, kriechen oder schwimmen konnte. Aber er wurde religiös, er wurde ein Priester der QUELLE. Als ein Mann, den er von früher kannte und den er bei einem Faustkampf besiegt hatte, ihn die Straßen in Drenan entlanggehen sah, ging er zu ihm und schlug dem Priester voll ins Gesicht, so daß er zu Boden ging. Ich war dabei. Der Priester sprang auf und hielt inne. Er wollte kämpfen – alles in ihm wollte kämpfen. Aber dann erinnerte er sich an das, was er war, und hielt sich zurück. Doch der Aufruhr in seinem Innern war so groß, daß er in Tränen ausbrach. Und er ging davon. Bei den Göttern, mein Junge, das hat Mut gefordert.«
»Ich finde nicht, daß das mutig war«, sagte Druss.
»Das fanden die anderen, die zuschauten, auch nicht. Aber das wirst du hoffentlich noch lernen: Wenn eine Million Menschen etwas Dummes glauben, bleibt es trotzdem etwas Dummes.«
Druss’ Gedanken zuckten zurück zur Gegenwart. Er wußte nicht, warum ihm die Begegnung eingefallen war, doch die Erinnerung hinterließ Trauer und Niedergeschlagenheit.
2
Ein Gewitter brach über den Bergen los, gewaltige Donnerschläge, die die Höhlenwände erzittern ließen, und Druss zog sich zurück, als der Regen in den Eingang peitschte. Das tiefer liegende Land wurde von speerartigen Blitzen durchzuckt, die das ganze Tal zu verändern schienen – die sanften Wälder aus Pinien und Ulmen wurden von düsteren Schatten geplagte Schlupflöcher von Ungeheuern, und die freundlichen Häuser wirkten wie Grabsteine in den Gewölben der Hölle.
Heftige Windstöße bogen die Bäume, und Druss sah ein Rudel Rehe aus den Wäldern rennen. Ihre Bewegungen wirkten abgehackt und ungeschickt im flammenden Schein der Blitze. Einer schlug in einen Baum ein, der von innen her zu explodieren schien und sich in zwei Hälften spaltete. Kurz flackerte Feuer aus dem zerstörten Stamm, das jedoch in Sekundenschnelle im prasselnden Regen verlosch.
Dulina schlich sich neben Druss und schmiegte sich dicht an ihn. Er spürte die Wundnaht an der Seite, als sie sich an ihn kuschelte, legte ihr aber einen Arm um die Schultern. »Es ist nur ein Gewitter, mein Kind«, sagte er. »Es kann uns nichts anhaben.« Sie sagte nichts, und er zog sie auf seinen Schoß und hielt sie fest. Sie ist fast fieberheiß, dachte er besorgt.
Seufzend empfand Druss wieder einmal das Gewicht des Verlustes und fragte
Weitere Kostenlose Bücher