Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
hinaus.
Druss setzte sich zu ihm. »Warum so wütend, Schwertkämpfer?« fragte er. »Empfindest du keine Befriedigung darüber, sie gerettet zu haben?«
»Überhaupt keine«, erwiderte Varsava. »Aber über mich hat auch noch nie jemand ein Lied geschrieben. Ich muß mich um mich selbst kümmern.«
»Das erklärt deine Wut nicht.«
»Und ich könnte sie auch nicht so erklären, daß dein schlichtes Gemüt es versteht. Bei Borzas Blut!« Er drehte sich zu Druss um. »Die Welt ist für dich ein so unkomplizierter Ort, Druss! Es gibt das Gute, und es gibt das Böse. Kommt es dir je in den Sinn, daß es ein riesiges Gebiet gibt, das weder rein und gut noch bösartig ist? Natürlich nicht. Nimm nur heute als Beispiel. Der alte Mann hätte ein böser Zauberer sein können, der das Blut unschuldiger Kinder trank. Die Männer, die ihn bestraften, hätten die Väter dieser Kinder sein können. Du wußtest es nicht. Du hast dich einfach auf sie gestürzt und sie zu Boden geschickt.« Varsava schüttelte den Kopf und holte tief Luft.
»Du irrst dich«, sagte Druss leise. »Ich habe deine Argumente schon einmal gehört – von Sieben und Bodasen und anderen. Ich gebe zu, daß ich ein schlichter Mensch bin. Ich kann kaum mehr als meinen Namen lesen, und komplizierte Erörterungen verstehe ich nicht. Aber ich bin nicht blind. Der Mann am Baum trug selbstgewebte Kleidung, alte Kleider; das Kind war ebenso gekleidet. Sie waren nicht reich, wie ein Zauberer sein würde. Und hast du nicht das Lachen der Messerwerfer gehört? Es war rauh und grausam. Das waren keine Bauern. Ihre Kleider waren gekauft, und ihre Schuhe und Stiefel waren aus gutem Leder. Es waren Schurken.«
»Vielleicht«, gab Varsava zu, »aber was ging es dich an? Willst du durch die Welt ziehen, um Unrecht wieder gutzumachen und die Unschuldigen zu beschützen? Ist das dein Lebensziel?«
»Nein«, antwortete Druss, »obwohl es kein schlechtes Ziel wäre.« Er schwieg ein paar Minuten lang, in Gedanken verloren. Shadak hatte ihm einen Kodex gegeben und ihm eingeprägt, daß er ohne eiserne Disziplin bald ebenso verderbt sein würde wie jeder andere Räuber. Dazu kam Bress, sein Vater, der sein Leben lang die schreckliche Last getragen hatte, Bardans Sohn zu sein. Und schließlich war da Bardan selbst, getrieben von einem Dämon, um einer der meistgehaßten und geschmähtesten Schurken aller Zeiten zu werden. Leben, Worte und Taten dieser drei Männer hatten den Krieger geschaffen, der jetzt neben Varsava saß. Doch Druss fehlten die Worte, dies zu erklären, und er wunderte sich, daß er Bedauern darüber empfand; denn er hatte nie das Bedürfnis gehabt, Sieben oder Bodasen etwas zu erklären. »Ich hatte keine Wahl«, sagte er schließlich.
»Keine Wahl?« echote Varsava. »Wieso?«
»Weil ich da war, sonst aber niemand.«
Druss fühlte Varsavas Blick auf sich ruhen und sah den Ausdruck blanken Unverständnisses. Er wandte sich ab und starrte in den Nachthimmel. Es machte keinen Sinn, das wußte er; aber er wußte auch, daß es ein gutes Gefühl war, den alten Mann und das Mädchen gerettet zu haben. Es war richtig.
Varsava stand auf und ging in den hinteren Teil der Höhle, so daß Druss allein blieb. Ein kalter Wind pfiff über die Berge, und Druss roch, daß sich Regen ankündigte. Er erinnerte sich an eine andere kalte Nacht, vor vielen Jahren, als er und Bress in den Bergen von Lentria ihr Lager aufgeschlagen hatten. Druss war sehr jung gewesen, sieben oder acht, und er war unglücklich. Ein paar Männer hatten seinen Vater angeschrien und sich vor der Werkstatt versammelt, die Bress in einem kleinen Dorf errichtet hatte. Er hatte damit gerechnet, daß sein Vater hinausrennen und die Männer verprügeln würde; stattdessen hatte er bei Einbruch der Nacht ein paar Habseligkeiten eingepackt und den Jungen in die Berge geführt.
»Warum laufen wir davon?« hatte er Bress gefragt.
»Weil sie viel reden werden und dann zurückkommen, um alles in Brand zu stecken.«
»Du hättest sie töten sollen«, sagte der Junge.
»Das wäre auch keine Antwort gewesen«, fuhr Bress ihn an. »Im Großen und Ganzen sind es gute Männer; aber sie haben Angst. Wir suchen uns einen Ort, an dem niemand etwas von Bardan weiß.«
»Ich werde nicht davonlaufen, niemals«, erklärte der Junge, und Bress hatte geseufzt. In diesem Augenblick kam ein Mann an ihr Lagerfeuer. Er war alt und kahlköpfig, und seine Kleider nur noch Lumpen, doch seine Augen blitzten
Weitere Kostenlose Bücher