Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Konzentriere dich auf etwas anderes. Er versuchte, sich Rowena vorzustellen; stattdessen erinnerte er sich an den Tag, als der Priester von Pashtar Sen ihn in einem kleinen Dorf gefunden hatte, vier Tage östlich von Lania. Druss saß im Garten eines Gasthauses und aß Braten mit Zwiebeln; dazu trank er einen Krug Bier. Der Priester verbeugte sich und nahm ihm gegenüber Platz. Sein kahler Schädel war rosa und schälte sich nach einem Sonnenbrand.
»Es freut mich, dich bei guter Gesundheit vorzufinden, Druss. Ich habe dich in den vergangenen sechs Monaten gesucht.«
»Du hast mich gefunden«, sagte Druss.
»Es geht um die Axt.«
»Mach dir deshalb keine Sorgen, Vater. Sie ist weg. Du hattest recht, es ist eine böse Waffe. Ich bin froh, daß ich sie los bin.«
Der Priester schüttelte den Kopf. »Sie ist zurück«, sagte er. »Sie befindet sich jetzt im Besitz eines Räubers namens Cajivak. Er war immer schon ein Schlächter und hat ihr weit schneller nachgegeben als ein starker Mann wie du. Jetzt terrorisiert er die Gegend um Lania, foltert, tötet und verstümmelt. Da der Krieg unsere Truppen aus der Region fernhält, kann ihn kaum etwas aufhalten.«
»Warum erzählst du mir das?«
Der Priester schwieg einen Moment und wich Druss’ festem Blick aus. »Ich habe dich beobachtet«, erklärte er schließlich. »Nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit, von deiner Geburt durch deine Kindheit bis zu deiner Hochzeit mit Rowena und deiner Suche nach ihr. Du bist ein Mann, wie es ihn nur selten gibt, Druss. Du hast eiserne Kontrolle über jeden Bereich deiner Seele, der die Bereitschaft zum Bösen in sich birgt. Und du hast Angst davor, so zu werden wie Bardan. Nun, Cajivak ist der wiedergeborene Bardan. Wer sonst könnte ihn aufhalten?«
»Ich habe keine Zeit zu verlieren, Priester. Meine Frau ist irgendwo in diesem Land.«
Der Priester wurde rot und ließ den Kopf hängen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und in seinen Worten schwang Scham mit. »Hol die Axt zurück, und ich sage dir, wo sie ist«, murmelte er.
Druss lehnte sich zurück und starrte den schlanken Mann lange an. »Das ist deiner nicht würdig«, stellte er fest.
Der Priester blickte auf. »Ich weiß.« Er breitete die Hände aus. »Ich kann dir keine andere … Bezahlung … anbieten.«
»Ich könnte deinen dünnen Hals packen und die Wahrheit aus dir herauswürgen«, erwiderte Druss.
»Aber das wirst du nicht. Ich kenne dich, Druss.«
Der Krieger stand auf. »Ich finde die Axt«, versprach er. »Wo sollen wir uns treffen?«
»Du findest die Axt – und ich finde dich«, erklärte der Priester.
Allein in der Dunkelheit, dachte Druss voller Bitterkeit daran, wieviel Selbstvertrauen er gehabt hatte. Cajivak finden, die Axt zurückholen, Rowena finden. So einfach!
Was für ein Narr du bist, dachte er. Sein Gesicht juckte, und er kratzte sich die Wange, bis sein schmutziger Finger eine Kruste aufkratzte. Eine Ratte lief über sein Bein, und Druss griff nach ihr, verfehlte sie jedoch. Er kämpfte sich auf die Knie und spürte, wie er mit dem Kopf an die steinerne Decke stieß.
Eine Fackel flackerte, als der Wächter den Gang entlang kam. Druss kroch zum Gitter. Das Licht brannte in seinen Augen. Der Gefängniswärter, dessen Gesicht Druss nicht sehen konnte, bückte sich und schob einen irdenen Becher in die Öffnung der Steintür. Kein Brot. Druss nahm den Becher und trank das Wasser. »Immer noch am Leben, wie ich sehe«, sagte der Wächter mit kalter und tiefer Stimme. »Ich glaube, Cajivak hat dich vergessen. Bei allen Göttern, dann bist du glücklich dran – du kannst mit den Ratten für den Rest deines Lebens hier unten leben.« Druss sagte nichts, und die Stimme fuhr fort: »Der letzte Mann, der in dieser Zelle lebte, hat fünf Jahre durchgehalten. Als wir ihn herauszogen, war sein Haar weiß geworden, und alle Zähne waren verfault. Er war blind und gekrümmt wie ein verkrüppelter alter Mann. Du wirst genauso aussehen.«
Druss konzentrierte sich auf das Licht, beobachtete die Schatten an der dunklen Wand. Der Wärter stand auf, das Licht verschwand. Druss sank zurück.
Kein Brot …
Du kannst mit den Ratten für den Rest deines Lebens hier unten leben.
Die Verzweiflung traf ihn wie ein Hammerschlag.
Pahtai spürte, wie der Schmerz nachließ, als sie aus ihrem pestgeschüttelten Körper schwebte. Ich sterbe, dachte sie, doch sie hatte keine Angst, fühlte keine aufsteigende Panik, sondern
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