Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
pfiff.
Nazhreen blickte seinen Vetter finster an. »Und wie sollen wir das machen?« entgegnete er. »Seine Armeen haben die unseren vernichtet. Seine Unsterblichen verfolgen im Moment unsere Nachhut.«
»Wir sollten jetzt tun, wozu ich dich schon vor zwei Jahren gedrängt habe, Vetter. Setz das Dunkellicht ein. Schick nach der Alten Frau.«
»Nein! Ich werde keine Zauberei benutzen.«
»Ach, hast du denn so viele andere Möglichkeiten, Vetter?« Der Ton war spöttisch, Verachtung tropfte aus jeder Silbe. Nazhreen schluckte. Anindais war ein gefährlicher Mann, und Nazhreens Position als geschlagener Krieger machte ihn verwundbar.
»Zauberei fällt oft auf die zurück, die sie verwenden«, sagte er leise. »Wenn du Dämonen herbeirufst, fordern sie Bezahlung in Blut.«
Anindais beugte sich vor. Seine blassen Augen glitzerten im Feuerschein. »Sobald Resha fällt, kannst du davon ausgehen, daß Gorben nach Naashan einmarschiert. Dann wird reichlich Blut fließen. Wer wird dich verteidigen, Nazhreen? Unsere Truppen sind zerschlagen, und unsere besten Männer sitzen in Resha fest, wo man sie abschlachten wird. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, daß Gorben stirbt. Dann können die Ventrier untereinander kämpfen, um einen Nachfolger zu wählen, und das verschafft uns genügend Zeit zum Wiederaufbau, zu Verhandlungen. Wer sonst könnte seinen Tod garantieren? Die Alte Frau hat noch nie versagt, heißt es.«
»Heißt es«, spottete der Kaiser. »Hast du sie denn jemals selbst eingesetzt? Ist dein Bruder deswegen zu einem so günstigen Zeitpunkt gestorben?« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bereute er sie, denn Anindais war kein Mann, den man beleidigen konnte, nicht einmal zu den besten Zeiten. Und dies waren gewiß nicht die besten Zeiten.
Nazhreen war erleichtert, daß sein Vetter breit grinste, als Anindais sich vorbeugte und dem Kaiser einen Arm um die Schultern legte. »Ach, Vetter, du warst dem Sieg so nahe. Du hast ein tapferes Spiel gespielt, und ich schätze dich dafür. Aber die Zeiten ändern sich. Sie brauchen Veränderung.«
Nazhreen wollte gerade antworten, als er im Feuerschein das Funkeln der Klinge sah. Er hatte keine Zeit zu kämpfen oder zu schreien. Das Messer drang ihm zwischen die Rippen und stieß in sein Herz.
Er fühlte keinen Schmerz, nur Erleichterung, als er zur Seite sank, so daß sein Kopf auf Anindais’ Schulter ruhte. Die letzte Berührung, die er spürte, war die von Anindais’ Hand, die ihm übers Haar strich.
Es war besänftigend …
Anindais schob den Toten von sich und stand auf. Eine Gestalt schlurfte aus den Schatten, eine alte Frau in einem Wolfspelz. Sie kniete neben dem Leichnam nieder, tauchte ihre dünnen Finger in das Blut und leckte sie ab. »Ah, das Blut von Königen«, sagte sie. »Süßer als Wein.«
»Genügt das als Opfer?« fragte Anindais.
»Nein – aber es reicht für den Anfang«, antwortete sie und schauderte. »Es ist kalt hier. Nicht wie in Mashrapur. Ich glaube, ich werde dorthin zurückkehren, wenn das hier vorbei ist. Ich vermisse mein Haus.«
»Wie wirst du ihn töten?« fragte Anindais.
Sie warf einen Blick auf den General. »Wir machen es poetisch. Er ist ein ventrischer Edelmann, und sein Familienwappen zeigt einen Bären. Ich werde Kaiith schicken.«
Anindais leckte sich die trockenen Lippen. »Kaiith ist doch wohl nur eine finstere Legende, oder?«
»Wenn du ihn mit eigenen Augen sehen möchtest, kann ich das einrichten«, zischte die Alte Frau.
Anindais wich zurück. »Nein, ich glaube dir.«
»Ich mag dich, Anindais«, sagte sie leise. »Du hast keine einzige ausgleichende Tugend – das ist selten. Deshalb werde ich dir ein Geschenk machen und nichts dafür verlangen. Bleib bei mir, und du wirst sehen, wie der Kaiith den Ventrier tötet.« Sie stand auf und ging zur Klippe. »Komm«, rief sie, und Anindais folgte ihr. Die Alte Frau deutete auf den grauen Fels, und aus der Wand wurde Rauch. Sie nahm den General bei der Hand und führte ihn hindurch.
Ein langer dunkler Tunnel lag dahinter, und Anindais schrak zurück. »Keine einzige ausgleichende Tugend«, wiederholte sie. »Nicht einmal Mut. Bleib bei mir, General, und dir wird nichts geschehen.«
Es war kein langer Weg, doch für Anindais schien es eine Ewigkeit zu dauern. Er wußte, daß sie durch eine Welt gingen, die nicht die seine war, und in der Ferne konnte er Schreie und Gekreische hören, das nicht von Menschen stammte. Große Fledermäuse schossen unter
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