Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
ungern was versäumen, oder?«
»Kannst du sie nicht veranlassen, mich nach Skoda zurückzutragen?«
»Später«, grinste Druss. »Ich muß jetzt wieder zurück.«
Der Axtschwinger stieg rasch den Hang hinauf, setzte sich auf einen großen Stein am Eingang des Passes und beobachtete angespannt das feindliche Lager.
»Woran denkst du?« fragte Delnar, der zu ihm kam.
»Ich dachte an etwas, das ein alter Freund mir vor langer Zeit mal gesagt hat.«
»Und was war das?«
»Wenn du siegen willst, greif an.«
Bodasen stieg vor dem Kaiser vom Pferd, kniete nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Dann stand er auf. Von weitem sah der Ventrier wie immer aus – kräftig, mit schwarzem Bart und scharfen Augen. Doch bei näherem Hinsehen hielt er nicht mehr stand. Sein Haar und sein Bart zeigten den ungesunden Schimmer von schweren, dunklen Färbemitteln, sein geschminktes Gesicht glühte in unnatürlichen Farben, und seine Augen sahen in jedem Schatten Verrat. Seine Anhänger – selbst Männer wie Bodasen, die ihm seit Jahrzehnten dienten – wußten, daß sie ihm nie direkt ins Gesicht sehen durften, sondern jedes Wort an den vergoldeten Greif auf seiner Brustplatte richten mußten. Niemand durfte sich ihm mit einer Waffe nähern, und er hatte seit Jahren niemandem mehr eine Privataudienz gewährt. Er trug stets eine Rüstung – sogar wenn er schlief, wie es hieß. Seine Speisen wurden von Sklaven vorgekostet, und er hatte begonnen, Handschuhe aus weichem Leder zu tragen, weil er glaubte, daß man ihm Gift auf die Außenseite seiner goldenen Becher streichen könnte.
Bodasen wartete auf die Erlaubnis zu sprechen und warf einen raschen Blick nach oben, um den Gesichtsausdruck des Kaisers zu deuten. Gorben blickte düster drein.
»War das Druss?« fragte er.
»Ja, Herr.«
»Also hat selbst er sich gegen mich gewandt.«
»Er ist ein Drenai, Majestät.«
»Willst du mit mir streiten, Bodasen?«
»Nein, Majestät. Selbstverständlich nicht.«
»Gut. Ich will, daß man Druss zu mir bringt, auf daß er gerichtet wird. Auf einen solchen Verrat muß mit raschem Urteil reagiert werden. Verstehst du?«
»Jawohl, Majestät.«
»Werden die Drenai den Weg freigeben?«
»Ich glaube nicht, Majestät. Aber es wird nicht lange dauern, den Weg freizumachen. Selbst wenn Druss dort ist. Soll ich Befehl geben, daß die Männer abtreten, um das Lager einzurichten?«
»Nein. Laß sie eine Weile in Schlachtordnung stehen. Die Drenai sollen ihre Macht und ihre Stärke sehen.«
»Jawohl, Majestät.«
Bodasen verließ rückwärts das Zelt.
»Bist du noch immer loyal?« fragte der Kaiser plötzlich.
Bodasens Mund wurde trocken. »Wie ich es stets gewesen bin, Majestät.«
»Aber Druss war dein Freund.«
»Obwohl das der Wahrheit entspricht, Majestät, werde ich ihn in Ketten vor dich schleppen lassen. Oder dir seinen Kopf präsentieren, falls er bei der Verteidigung fallen sollte.«
Der Kaiser nickte; dann wandte er sein angemaltes Gesicht dem Paß zu und starrte hinauf.
»Ich will ihren Tod. Den Tod für alle«, flüsterte er.
In der Kühle kurz vor Morgengrauen stellten die Drenai ihre Reihen auf. Jeder Krieger trug einen runden Schild und ein kurzes Stoßschwert. Die Säbel hatte man beiseite gelegt, denn in dichter Formation konnte ein ausholendes Langschwert für einen in der Nähe stehenden Kameraden ebenso tödlich sein wie für einen angreifenden Feind. Die Männer waren nervös, überprüften immer wieder die Riemen an ihren Brustplatten oder stellten fest, daß die bronzenen Beinschienen, die die Unterschenkel schützten, entweder zu locker saßen oder zu stramm oder zu sonst irgendwas. Umhänge wurden abgenommen und als feste Rollen an der Bergwand hinter den Kampfreihen abgelegt. Sowohl Druss als auch Delnar wußten, daß dies der Zeitpunkt war, an dem der Mut der Männer unter dem größten Druck stand. Gorben konnte so vieles tun. Die Würfel lagen in seinen Händen. Die Drenai konnten nichts weiter als warten.
»Glaubst du, er wird angreifen, sobald die Sonne aufgeht?« fragte Delnar.
Druss schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Er läßt die Angst bestimmt noch eine Stunde für sich arbeiten. Aber bei ihm kann man nie wissen.«
Die zweihundert Männer in der ersten Reihe teilten dieselben Gefühle, wenn auch in unterschiedlichster Intensität: Stolz, denn man hatte sie als die besten ausgewählt; Angst, denn sie würden die ersten sein, die fielen. Manche fühlten Bedauern. Viele hatten
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