Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
woher er kam, nur daß er seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Anführer der Piraten war. Als einer der Korsarenfürsten – mächtige Männer, die die Meere beherrschten – hieß es, ihm gehörten Paläste auf mehreren der Tausend Inseln, und er wäre so reich wie die Könige im Osten. In seinem Äußeren spiegelte sich dieser angebliche Reichtum jedoch nicht wider. Er trug eine schlichte Brustplatte aus getriebener Bronze und einen geflügelten Helm, den er vor zwölf Jahren auf einem geplünderten Handelsschiff gefunden hatte. An seiner Hüfte hing ein Säbel mit einem einfachen Griff aus poliertem Holz und einem Handschutz aus schlichtem Messing. Earin Shad war kein Mann, der Extravaganzen schätzte.
Er stand im Heck, während das stete, rhythmische Dröhnen der Trommeln die Ruderer zu größeren Anstrengungen trieb, und gelegentlich klatschte eine Peitsche auf den nackten Rücken eines Faulenzers. Earin Shads helle Augen wurden schmal, als das Handelsschiff sich der Dunkelwind entgegenschwang.
»Was macht er denn da?« fragte der Riese Patek.
Earin Shad blickte zu dem Mann auf. »Er hat Redas Schiff gesehen und versucht, an uns vorbeizukommen. Es wird ihm nicht gelingen.« Er wandte sich an den Steuermann, einen kleinen, zahnlosen alten Burschen namens Luba, sah aber, daß der Mann den Kurs bereits änderte. »Geradeaus jetzt«, sagte er. »Wir wollen sie nicht rammen.«
»Jawohl, Herr des Meeres!«
»Fertigmachen zum Entern!« brüllte Patek. Der Riese beobachtete, wie die Männer aufgerollte Taue nahmen und sie an die dreizinkigen Enterhaken banden. Dann richtete er den Blick auf das näher kommende Schiff. »Sieh dir das an, Herr des Meeres!« sagte er und deutete auf den Bug der Donnerkind. Dort stand ein schwarzgekleideter Mann. Er hielt eine doppelköpfige Axt in einer trotzigen Geste hoch über den Kopf.
»Sie werden niemals alle Taue durchhauen können«, sagte Patek. Earin Shad antwortete nicht – er suchte die Decks des feindlichen Schiffes nach Spuren von weiblichen Passagieren ab. Er sah keine, und seine Laune verfinsterte sich. Um seine Enttäuschung zu lindern, dachte er an das letzte Schiff, das sie vor drei Wochen aufgebracht hatten – und an die Tochter des Statthalters, die an Bord gewesen war. Er leckte sich die Lippen bei der Erinnerung. Stolz, trotzig und hübsch – die Peitsche allein hatte sie nicht gezähmt, auch nicht die kräftigen Schläge. Und selbst nachdem er sie mehrmals vergewaltigt hatte, funkelten ihre Augen noch mordlustig. Ah, sie war lebhaft, kein Zweifel. Aber er hatte ihre Schwachstelle gefunden – wie immer. Und als er sie fand, hatte er gleichzeitig Triumph und Enttäuschung empfunden – wie immer. Der Moment der Eroberung, als sie ihn angebettelt hatte, sie zu nehmen – ihm versprochen hatte, ihm immer zu dienen, wie er es auch wünschte –, war wundervoll gewesen. Aber dann hatte ihn Trauer überwältigt, gefolgt von Zorn. Er hatte sie rasch getötet, was die Männer enttäuschte. Aber sie hatte es sich verdient, dachte er. Sie hatte fünf Tage in der Dunkelheit des Verlieses, in Gesellschaft der schwarzen Ratten, die Nerven behalten.
Earin Shad schniefte; dann räusperte er sich. Jetzt war nicht die Zeit, an Vergnügen zu denken.
Eine Kabinentür hinter ihm ging auf, und er hörte die leisen Schritte des jungen Zauberers.
»Guten Tag, Herr des Meeres«, sagte Gamara. Patek ging zur Seite und mied dabei den Blick des Zauberers.
Earin Shad nickte dem schlanken Chiatze zu. »Die Omen stehen gut, hoffe ich?« fragte er.
Gamara breitete in einer eleganten Geste die Hände aus. »Es wäre Kraftverschwendung, die Steine zu werfen, Herr des Meeres. Sie haben bei dem Unwetter die Hälfte ihrer Männer verloren.«
»Und du bist sicher, daß sie Gold dabei haben?«
Der Chiatze grinste und ließ dabei eine makellose Reihe kleiner, weißer Zähne sehen. Wie die eines Kindes, dachte Earin Shad. Er blickte in die dunklen, schrägstehenden Augen des Mannes. »Wieviel haben sie an Bord?«
»Zweihundertsechzigtausend Goldstücke. Bodasen hat sie von den ventrischen Kaufleuten in Mashrapur bekommen.«
»Du hättest die Steine werfen sollen«, sagte Earin Shad.
»Wir werden viel Blut sehen«, antwortete Gamara. »Aha! Sieh nur, Herr. Wie immer folgen dir die Haie im Kielwasser. Sie sind wie Haustiere, nicht wahr?«
Earin Shad warf keinen Blick auf die grauen Gestalten, die mühelos durchs Wasser glitten, die Rückenflossen aufgerichtet wie Schwertklingen. »Sie sind
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