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Die dritte Ebene

Die dritte Ebene

Titel: Die dritte Ebene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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stand das altersschwache Holzhaus der Kräuterfrau, die jeder landauf, landab als Tante Gippy kannte.
    Sie unterhielt einen Kräuterladen für Stammesbrüder und Anhänger der Naturmedizin. Gippy, ebenfalls Angehörige des Navajo-Stammes, kannte sich zweifellos hervorragend darin aus, welche Kräuter und Wurzeln bei entsprechenden Beschwerden halfen. Von ihren Stammesbrüdern wurde sie gern aufgesucht wegen ihrer Mixturen, die sie nicht nur aus medizinischen Gründen braute. Vor allem der Mescal, ein Schnaps aus den gleichnamigen Kakteen, hatte es in sich. Dwain erinnerte sich noch gut an die letzte Stammesfeier im Alamo-Navajo-Indian-Reservat, zu der er eingeladen worden war. Noch Tage später spürte er die Auswirkung des Getränks.
    Als Dwain aus seinem Wagen ausstieg, traf ihn die Hitze des Tages mit voller Wucht. Er öffnete den Knopf seines karierten Hemds und betrat die hölzernen Stufen des kleinen Hauses. Überall an den Balken und Geländern hingen getrocknete Sträuße verschiedener Kräuter und Blumen. Ein strenger Geruch stieg Dwain in die Nase. Er betrat den düsteren Raum und sah sich um. Links neben dem Eingang saßen zwei alte Indianer mit langen silbernen Haaren an einem runden Tisch und rauchten genüsslich Pfeife. Hinter dem grob gezimmerten Ladentisch saß, eingehüllt in bunte Decken, Tante Gippy und blickte auf, als sich Dwain ihr näherte.
    »Was führt dich zu mir, großer weißer Mann?« Die alte Indianerin blickte ihm erwartungsvoll entgegen.
    »Ich bin Dwain Hamilton, der Sheriff im Socorro County«, stellte sich Dwain vor.
    »Ich weiß, wer du bist, großer weißer Mann«, antwortete sie. »Dein Ruf eilt dir voraus. Ein Hüne mit der Kraft von zehn Büffeln. Ich habe hier ein Pulver, das dir deine Kraft erhält. In allen Belangen, wenn du verstehst«, sagte sie anzüglich.
    »Danke, Tante Gippy. Aber ich bin aus einem anderen Grund hier. Ich muss dich etwas über Jack Silverwolfe fragen. Du weißt ja, dass er gestorben ist?«
    Die alte Frau lächelte. »Nachrichten sind wie die Samen der Bäume, sie fliegen mit dem Wind.«
    »Wann war er das letzte Mal bei dir?«
    Die Frau überlegte. »Er war hier, als der Mond voll war. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber er hat mir von Männern erzählt. Von weißen Männern, die den heiligen Boden betraten. Er hatte Angst, dass sie wiederkommen.«
    Dwain horchte auf. Vor neun Tagen war Vollmond gewesen. Zwei Tage nachdem der alte Jack von Dwain aufgegriffen worden war. »Männer?«, fragte er eindringlich. »Was für Männer? Hat er gesagt, woher sie kamen?«
    Gippy zuckte die Schulter. »Weiße Männer, viele Männer. Alle gleichen sich.«
    »Was heißt das?«
    »Er sagte, sie sind wie Brüder. Ein Gesicht für alle …«
    »Soldaten?«
    »Keine Uniformen. Mohawe hat keine Soldaten gemeint.«
    Die alte Frau wedelte wegwerfend mit den Händen, als gälte es, einen bösen Gedanken zu vertreiben. Was konnte sie damit meinen, ein Gesicht für alle? Trugen sie Masken, hatten sie ihre Gesichter verhüllt? Dwain überlegte, doch ihm blieb der Sinn des Bildes unklar.
    »Hat er mit ihnen gesprochen?«
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Er hat sich ihnen nicht gezeigt, sondern sich im Wald versteckt. Er hatte Angst vor ihnen. Schreckliche Angst. Dann sind sie wieder weggegangen.«
    In Dwains Gehirn arbeitete es. Waren es womöglich IRA-Sympathisanten? Er erinnerte sich an ein Plakat, das er vor etwa zehn Jahren an den Wänden des New York Police Departments gesehen hatte und das einen IRA-Kämpfer mit Maschinenpistole in Belfast zeigte. Sein Gesicht war durch eine schwarze Gesichtsmaske verdeckt. Nur die Augen waren zu sehen. Das Plakat, herausgegeben vom FBI, warnte vor der Unterstützung der Terrororganisation. Besonders in Gebieten, in denen sich verstärkt irische Auswanderer niedergelassen hatten, versuchten Anhänger der Bewegung Gelder für den Kampf zu sammeln. Und dabei gingen sie nicht zimperlich mit Unwilligen um. Erpressung, Körperverletzung bis hin zu Totschlag oder Mord gehörten zu ihrem Repertoire. Aber das wäre in diesem Fall wohl doch ein bisschen weit hergeholt.
    »Haben diese Männer seinen Geist genommen, großer weißer Mann?«, fragte Tante Gippy in die Stille.
    Diesmal war es an Dwain, mit der Schulter zu zucken.
    »Wenn es so war, wirst du sie suchen?«
    »Ich suche bereits nach ihnen, Tante Gippy«, sagte Dwain und wandte sich dem Ausgang zu.
Kennedy Space Center, Florida
    Es war sechs Uhr am Samstagabend, als sich das

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