Die dritte Ebene
untersuche rätselhafte Phänomene. Viele meiner Kollegen halten mich für einen Spinner und das Gebiet der Parapsychologie für reinen Aberglauben. Aber Sie würden staunen, wie viele unerklärliche Phänomene von meinen ehrenwerten Kollegen mit hohlen Phrasen abgetan werden, ohne den wahren Hintergrund zu kennen. Dieses Universum ist Millionen von Jahren alt, es wäre vermessen zu behaupten, dass wir bereits alles kennen, definieren und einstufen können, was uns begegnet. Ich bin nicht so anmaßend. Ich weiß nur, dass der Zustand Ihrer Crew genau das darstellt, wovon ich gerade sprach: ein unerklärliches Phänomen. Ich bitte Sie um Ihre Mithilfe. Wenn Sie nicht wollen oder mir nicht trauen, dann stehen Sie einfach auf und gehen Sie. Jede weitere Minute wäre Zeitverschwendung.«
Gibson überlegte. Unsicher schaute er sich um. »Wer steht hinter diesem Spiegel?«, fragte er und deutete an die gegenüberliegende Wand.
»Niemand«, antwortete Brian.
»Mikrofone und Kameras?«
Brian nickte. »Nur für unsere Untersuchung und meine persönliche Akte.«
Gibson schaute sich im Raum um, suchte mit den Augen die Ecken und Wände ab. »Also gut, was soll’s. Ich glaube Ihnen.«
»Was war in den Wolken?«
Gibson erhob sich. »Haben Sie schon einmal erlebt, dass Sie sich wie ein Gefangener Ihres eigenen Spiegelbilds fühlen? So als ob Ihr Geist über Ihnen schwebt und Sie selbst nur zum stillen Beobachter werden?«
»Menschen, die den Abgrund des Todes bereits überwunden hatten und zurückgeholt wurden, berichten oft von einem solchen Phänomen«, erwiderte Brian.
»Nein, nicht wie in Flatliners«, widersprach Gibson. »Es war ein anderes Gefühl. So als ob Sie die Situation mit einer kleinen Zeitverzögerung erleben. Das Gehirn ist schneller und hat die nächste Situation bereits analysiert und die Maßnahme festgelegt, während Ihr Körper ein paar Millisekunden hinterherhinkt. So wie bei einer Zeitlupe. Ihr Geist kommt Ihrem Ich gewissermaßen ein Stück zuvor.«
»Eine Art Déjà-vu?«
Gibson nickte. »Ich weiß nicht, wie man so etwas nennt, aber ich glaube fest daran, dass uns genau dieses unerklärliche Gefühl aus der Situation gerettet hat. Ich tat eigentlich nur das, was mir irgendwie eingegeben wurde.«
»Hatten Sie jemals in Ihrem Leben ein ähnliches Empfinden?«
Gibson schüttelte den Kopf. »Es war das erste Mal. Und ehrlich gesagt, hat es mir eine unheimliche Angst eingejagt. Es ist, als ob man zweimal existiert, aber doch nur ein halber Mensch ist, verstehen Sie?«
Brian Saint-Claire schaute den Piloten nachdenklich an. Er wusste, was der Offizier zum Ausdruck bringen wollte. Spiritisten hatten ein solches Gefühl, wenn sie aus ihrer Trance erwachten. Aber Captain Don Gibson war kein Medium. Im Gegenteil, er war weit davon entfernt.
Kennedy Space Center, Florida
Brian hatte sich die wichtigsten Passagen aus dem Bericht des Piloten noch einmal angehört und ein Protokoll erstellt. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass Don Gibson kurz vor Auftreten des Gewittersturms ein Déjà-vu erlebte, das ihn durch den Sturm leitete und ihn in dieser Ausnahmesituation mit beinahe traumwandlerischer Sicherheit genau das Richtige tun ließ. Brian hatte Gibsons Personalakte studiert. Captain Don Gibson war ein rational denkender und handelnder Mensch. Von seinem Typ her eher unempfänglich für metaphysische Einflüsse. Umso verwunderlicher, dass er sich auf diese Eingebung eingelassen hatte und bei aller Rationalität nicht ablehnend darauf reagierte. Dennoch ergaben sich aus der Aussage des Shuttlepiloten keine weiteren Anhaltspunkte, was mit den beiden Astronauten während des Rückflugs passiert war. Sie hatten bereits vor Eintritt in die Erdatmosphäre geschlafen und waren auch nicht erwacht, als das Inferno an Bord des Raumschiffs losbrach. Eher ungewöhnlich, denn die beiden befanden sich den Aufzeichnungen nach gerade im Übergang von der dritten Schlafphase in die Tiefschlafphase. Menschen in diesem Stadium reagierten häufig auf äußere Einflüsse und erwachten durch Krach oder Erschütterungen. Vielleicht hatte Suzannah inzwischen etwas herausfinden können.
Brians Magen knurrte. Das Hungergefühl überlagerte seine Gedanken. Er schaute auf die Uhr. Wenn er sich nicht beeilte, dann würde das Casino schließen, und er würde erst am Abend wieder etwas zu essen bekommen. Eilig verließ er das Krankenhaus und sog tief die frische Luft ein, als er hinaus in den Sonnenschein trat. Noch war der Tag
Weitere Kostenlose Bücher