Die dritte industrielle Revolution - die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter
Köpfe. Steve Bartley, der Geschäftsführer von CPS, wurde entlassen, und auch Aurora Geis, die Vorstandsvorsitzende, musste – obwohl in dieser Angelegenheit völlig unschuldig – auf Druck des neuen Bürgermeisters Julián Castro als für die Verschleierung Verantwortliche ihren Hut nehmen. Schon vor Bekanntwerden der Kostenverteuerung hatte Geis die Sorge zum Ausdruck gebracht, CPS habe sich zu sehr auf die Atomenergie festgelegt – auf Kosten eines Umstiegs auf erneuerbare Energien und dezentrale Elektrizität. Sie hatte sogar hinter den Kulissen leise darauf hingewirkt, das Engagement der Stadt von 40 Prozent Eignerschaft auf 20 Prozent zu reduzieren – gerade genug, um CPS’ prognostizierten Strombedarf zu decken. Bürgermeister Castro hatte sich im August mit dem abgespeckten Engagement einverstanden erklärt.
Bei prognostizierten Kosten von zwölf Milliarden Dollar und neuen unabhängigen Schätzungen, die die Summe eher auf 17 bis 20 Milliarden Dollar veranschlagten, beschloss die Stadt den Ausstieg aus dem Projekt. 114 In einer von Bürgermeister Castro vermittelten Übereinkunft zwischen CPS, NRG und Toshiba reduzierte CPS seinen Anteil an den texanischen Atomkraftwerken von ursprünglich 40 auf die endgültige |117| Summe von 7,6 Prozent, was einem finanziellen Engagement von einer Milliarde Dollar entsprach. 115
Ganz nebenbei: Selbst wenn damit die Stadt San Antonio aus dem Schneider ist – der amerikanische Steuerzahler ist es nicht. Das Joint Venture von NRG, NINA und Toshiba sucht noch immer aktiv nach Investoren und einer Kreditgarantie vom amerikanischen Energieministerium, um grünes Licht für das Projekt geben zu können. Sollte es zu einer Kostenverteuerung kommen, die die Solvenz der Unternehmung bedroht, wird der amerikanische Steuerzahler einen Teil der Zeche bezahlen müssen.
Diese Kraftprobe um die Kernenergie legte überdies einen wunden Punkt der Stadt offen: die Frage nach den Arbeitsplätzen. Als Gastgeber des dreitägigen Workshops zu unserem Gesamtkonzept im April 2009 hatte der damalige Bürgermeister Phil Hardberger darauf hingewiesen, die Stadt sei neben der nachhaltigen Erzeugung von Energie auch an der Schaffung neuer Arbeitsplätze interessiert, vor allem für die Arbeiterklasse und die Armen der Stadt. Unsere Aufgabe umfasste also die Abwägung neuer Energieoptionen, die sowohl sauber als auch dem Arbeitsmarkt zuträglich sein würden.
Die Atomindustrie stellt gerne den Umstand heraus, dass der Bau großer Kernkraftwerke für Arbeitsplätze sorgt. In einem Leitartikel von 2010 behauptete Christine Todd Whitman, ehemals Gouverneurin von New Jersey und Direktorin der Umweltschutzbehörde EPA unter George W. Bush, der Bau einer neuen Generation von Atomkraftwerken könnte in den USA »bis zu 70 000 neue Arbeitsplätze« schaffen. 116 Bei näherer Hinsicht jedoch sehen die Aussichten für den Arbeitsmarkt gleich nicht mehr so rosig aus.
Der Bau eines einzigen Reaktors schafft lediglich 2400 Arbeitsplätze im Bausektor, und ist die Anlage erst einmal in Betrieb, bedarf sie nur 800 Vollzeitbeschäftigter. Um also die von Todd Whitman in Aussicht gestellten 70 000 Arbeitsplätze zu schaffen, müssten wir 22 Atomkraftwerke bauen. Die Kosten beliefen sich auf 200 Milliarden Dollar oder mehr, und es würde zwanzig Jahre oder länger dauern, sie alle zu bauen – ein ungeheurer Aufwand von Zeit und Geld für die |118| paar Arbeitsplätze. Würde dagegen die Bundesregierung, so die Union of Concerned Scientists, eine unserer renommiertesten Vereinigungen von Wissenschaftlern, die Versorgungsbetriebe per Gesetz dazu zwingen, wenigstens 25 Prozent ihrer Elektrizität aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, würde das fast 300 000 Arbeitsplätze schaffen. Abgesehen davon, dass der Preis für die beiden texanischen Reaktoren – also 18 bis 20 Milliarden Dollar – den geschätzten Gesamtinvestitionen dafür entspricht, während der nächsten 20 Jahre die fünfsäulige Infrastruktur für die Dritte Industrielle Revolution aufzubauen und damit die reduzierten Emissionswerte zu erreichen, die sich die Stadt zum Ziel gesetzt hat. 117
Und was ist mit dem zusätzlichen Strom, den die Atomkraftwerke ins Netz gebracht hätten? Die von CPS benutzten Prognosen zum Energiebedarf basierten auf konventionellen Modellen, die in der Zukunft womöglich nicht mehr relevant sein werden. Versorgungsbetriebe haben lange Zeit einen Lastanstieg und Umsatzzuwachs zwischen einem und zwei Prozent
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