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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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verwaltungsmäßige Anstrengung, auch keine familienbedingte, keine körperliche. Auch keine technische«, zählte Estalère auf, indem er versuchte, die einzelnen Faktoren auszuschließen. »Ich glaube, es ist, wie soll ich sagen …«
    Estalère zeigte auf seine Stirn.
    »Eine geistige«, schlug Danglard vor.
    »Ja«, sagte Estalère. »Sie denkt nach. Irgendwas läßt ihr keine Ruhe.«
     
    In Wirklichkeit war sich Adamsberg der Atmosphäre sehr wohl bewußt, die seinetwegen auf der Brigade lastete, und er versuchte sie zu beherrschen. Aber die Abhöraktionen gegen Veyrenc hatten ihm schlimm zugesetzt, er hatte Mühe, sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Dabei hatte ihn das Abhören in seinen Nachforschungen zum Krieg der beiden Täler kein Stück weitergebracht, auch über den Tod von Fernand und dem Dicken Georges wußte er inzwischen nicht mehr. Veyrenc rief nur ein paar Verwandte und Freunde an, ohne ein Wort über sein Leben in der Brigade zu verlieren. Dagegen hatte Adamsberg zweimal live den Geschlechtsakt Veyrenc-Camille mit angehört und war erschlagen von der Gegenwärtigkeit der beiden Körper daraus hervorgegangen, verletzt von der Schamlosigkeit einer Wirklichkeit, die die Wirklichkeit der anderen war. Und er bedauerte es. Nicht nur, daß er keinen Einfluß auf ihr Beisammensein hatte, das Liebesabenteuer zwischen Veyrenc und Camille schloß ihn ganz einfach aus, ja stieß ihn weit von ihnen fort. Er existierte gar nicht in diesem Zimmer, der Raum gehörte ihm nicht. Wie ein Pirat hatte er sich hineingeschlichen, und darum mußte er wieder gehen. Dieses Gefühl der Enttäuschung, daß ein unerreichbarer Ort allein Camille gehörte und ihn in keiner Weise etwas anging, trat nach und nach an die Stelle seiner Wut. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als auf sein eigenes Land zurückzukehren, zerschlagen und beschmutzt zurückzukehren, mit Erinnerungen im Kopf, die er nur noch würde auslöschen müssen. Lange war er unter dem Geschrei der Vögel herumgelaufen, bis er begriffen hatte, daß er aufhören mußte, die Mauern eines eingebildeten Ziels zu belagern.
    Als hätte er ein Fieber überstanden, das ihn geschwächt zurückließ, durchquerte er schon etwas wohlgemuter den Konzilsaal und schaute sich die Karte an, auf der Justin seine letzten Markierungen setzte. Bei seinem Eintreten hatte Veyrenc sich sogleich in eine Verteidigungshaltung zusammengezogen.
    »Neunundzwanzig«, sagte Adamsberg, nachdem er die roten Stecknadeln durchgezählt hatte.
    »Das ist nicht zu schaffen«, meinte Danglard. »Wir brauchen noch einen Faktor, um das Ganze weiter einzugrenzen.«
    »Die Lebensweise«, überlegte Maurel. »Frauen, die mit einem Verwandten zusammen leben, einem Bruder, einer Tante, sind für einen Mörder weniger leicht erreichbar.«
    »Nein«, sagte Danglard. »Élisabeth ist auf dem Weg zur Arbeit umgebracht worden.«
    »Und die Splitter vom Kreuz? Hat das was ergeben?« fragte Adamsberg mit leiser Stimme, als hätte er eine Woche lang gehustet.
    »Keine einzige Reliquie in der ganzen Haute-Normandie«, antwortete Mercadet. »Und auch kein Diebstahl dieser Art im fraglichen Zeitraum. Der letzte gemeldete Schwarzhandel betraf die Reliquien des heiligen Demetrius von Saloniki, das war vor vierundfünfzig Jahren.«
    »Und der Todesengel? Haben Sie ihn in der Gegend dort ausfindig gemacht?«
    »Eine Möglichkeit gibt es«, sagte Gardon. »Aber wir haben nur drei Zeugenaussagen. Vor sechs Jahren hat sich eine Krankenschwester für häusliche Pflege in Vecquigny niedergelassen, das ist dreizehn Kilometer von Le Mesnil entfernt, im Nordosten. Die Beschreibung ist sehr vage. Eine Frau zwischen sechzig und siebzig Jahren, klein, friedlich, sehr schwatzhaft. Es kann sie wie jede andere auch sein. Man erinnert sich an sie in Le Mesnil, in Vecquigny und in Meillères. Sie hat ungefähr ein Jahr lang praktiziert.«
    »Lange genug also, um Erkundigungen einzuholen. Weiß man, warum sie wieder weggezogen ist?«
    »Nein.«
    »Wir geben’s auf«, sagte Justin, der während der Rebellion ins Lager der Positivisten übergewechselt war.
    »Was, Lieutenant?« fragte Adamsberg mit ferner Stimme.
    »Alles. Das Buch, den Kater, die dritte Jungfrau, den Reliquienkram, dieses ganze Tohuwabohu. Das ist doch alles Quatsch.«
    »Ich brauche keine Leute mehr an diesem Fall«, sagte Adamsberg und setzte sich in die Mitte des Raums, ins Zentrum aller Blicke. »Alle Daten sind zusammengetragen, mehr können wir nicht tun, weder

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