Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
der Arzt automatisch. »Habe ich gesehen, Kommissar, aber ihre Größe und ihr Gewicht haben nichts damit zu tun. Ich weiß nicht, wie ihr Organismus sich gegen das Gift, den Hunger und die Kälte zur Wehr gesetzt hat.«
    Die Sanitäter stellten die Trage ab und versuchten Retancourt darauf zu rollen.
    »Sachte, sachte«, sagte Lavoisier. »Sie darf nicht zu stark atmen, das könnte fatal sein. Legen Sie Gurte unter, und ziehen Sie sie Stück für Stück. Lassen Sie sie los, mein Lieber«, fügte er hinzu und sah Adamsberg an.
    Adamsberg löste seine Hände von Retancourts Arm und drängte die Männer in den Gang zurück.
    »Das ist Energieumwandlung«, Estalère sagte sein Sprüchlein auf, während er mit den Augen verfolgte, wie der große Körper langsam auf die Bahre manövriert wurde. »Sie hat ihre ganze Energie auf die Abwehr des Neuroleptikums konzentriert.«
    »Wenn du meinst«, sagte Mordent. »Wir werden es nie erfahren.«
    »Schaffen Sie die Trage in den Hubschrauber«, ordnete Lavoisier an. »Wir müssen Zeit gewinnen.«
    »Wo bringen Sie sie hin?« fragte Justin.
    »Nach Dourdan.«
    »Kernorkian und Voisenet, kümmern Sie sich um ein Hotel für alle«, sagte Adamsberg. »Die Halle werden wir morgen gründlich durchkämmen. Bei dem klebrigen Staub hier müssen sie einfach Spuren hinterlassen haben.«
    »Im Gang waren keine«, sagte Kernorkian. »Wir haben nur die Pfotenabdrücke der Katze gesehen.«
    »Weil sie von der anderen Seite gekommen sind, deshalb. Lamarre und Justin bleiben hier, um die Zugänge zu überwachen, bis die Bullen aus Dourdan sie für die Nacht ablösen kommen.«
    »Wo ist die Katze?« fragte Estalère.
    »Auf der Trage. Nehmen Sie sie, Brigadier. Bringen Sie sie wieder auf die Beine.«
    »In Dourdan gibt es ein sehr gutes Restaurant«, meinte Froissy gelassen, »die Windrose. Mit Holzgebälk und Kerzen, Spezialität sind Krustentiere, erstklassiger Weinkeller, Seebarsch in Salzkruste, je nach Anlieferung. Allerdings ist es etwas teuer.«
    Die Männer wandten sich zu ihrer zurückhaltenden Kollegin um, noch immer erstaunt darüber, daß Froissy nur ans Essen dachte, selbst wenn eine der Ihren im Sterben lag. Draußen kündete der Lärm des Hubschraubers von Retancourts bevorstehendem Abflug. Der Arzt schien überzeugt, daß sie aus ihrer Art Jenseits nicht wieder zurückkehren würde, Adamsberg hatte es in seinen Augen gelesen.
    Er schaute in die erschöpften, von den Taschenlampen weiß angestrahlten Gesichter seiner Mitarbeiter. Die ungebührliche Aussicht auf ein luxuriöses Abendessen an einem gepflegten Ort kam ihnen ebenso unerreichbar wie begehrenswert vor, irgendwo in einem anderen Leben angesiedelt, eine Luftblase, deren Raffinement die Macht hätte, den Schrecken für Augenblicke aufzuheben.
    »Einverstanden, Froissy«, sagte er. »Wir treffen uns alle in der Windrose. Kommen Sie, Doktor, wir fliegen zusammen mit Retancourt.«
    »Lavoisier, wie Lavoisier, ganz einfach.«

49
    Veyrenc war nicht nach Paris gekommen, um sich für die Querelen der Brigade zu interessieren. Doch abends um halb zehn, das Abendbrot des Krankenhauses hatte er längst gegessen, konnte er sich einfach nicht auf den Film konzentrieren. Gereizt griff er nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät ab. Er hob sein Bein an, richtete sich auf dem Bettrand auf, griff nach seiner Krücke und ging mit vorsichtigen Schritten zum Telefon, das draußen im Flur an der Wand hing.
    »Commandant Danglard? Veyrenc de Bilhc. Was gibt es Neues?«
    »Wir haben sie gefunden, achtunddreißig Kilometer von Paris entfernt. Wir sind der Katze gefolgt.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Die Katze, die zu Retancourt wollte, verflucht.«
    »Ah, so«, sagte Veyrenc, der spürte, daß der Commandant mit den Nerven am Ende war.
    »Sie schwebt zwischen Leben und Tod, wir sind unterwegs nach Dourdan. Präfinaler Zustand.«
    »Versuchen Sie’s mir ein bißchen zu erklären, Commandant. Ich muß es wissen.«
    Warum? fragte sich Danglard.
    Veyrenc hörte sich den Bericht des Commandant an, der viel weniger geordnet war als sonst, und legte wieder auf. Sanft drückte er auf die Verletzung an seinem Bein, probierte mit den Fingerspitzen, ob sie schmerzte, während er sich vorstellte, wie Adamsberg sich über Retancourt beugte und verzweifelt eine Möglichkeit suchte, seinen widerstandsfähigen Lieutenant ins Leben zurückzurufen.
     
    Jene, die Euch noch unlängst hat vorm Leid bewahrt,
    die seht Ihr liegen nun wie tot und

Weitere Kostenlose Bücher