Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
haben uns für eine vollständige Bluttransfusion entschieden, das ist unsere letzte Chance. Aber sie hat Blutgruppe A negativ, und die Reserven sind leider Gottes gestern nach einem Verkehrsunfall aufgebraucht worden.«
    »Und die Spender, Doktor?«
    »Wir haben immer nur einen, wenn wir drei brauchten. Die anderen beiden sind im Urlaub. Es ist Ostern, Kommissar, die halbe Stadt ist ausgeflogen. Es tut mir leid. Bis wir Spender in anderen Krankenhäusern gefunden haben, wird es zu spät sein.«
    Angesichts von Adamsbergs verzerrter Miene war es plötzlich still geworden am Tisch. Der Kommissar rannte aus dem Restaurant, Estalère lief sofort hinterher. Nach einer Weile kam der junge Mann zurück und sank auf seinen Stuhl.
    »Nottransfusion«, sagte er. »Blutgruppe A negativ, aber sie haben keine Spender.«
     
    Schweißgebadet betrat Adamsberg den weißen Raum, in dem der einzige A-negativ-Spender von Dourdan gerade seine Transfusion beendete. Es schien ihm, als wären Retancourts Wangen inzwischen blau geworden.
    »Blutgruppe 0«, teilte er dem Arzt mit, während er bereits seine Jacke auszog.
    »Sehr gut, Sie kommen danach dran.«
    »Ich habe zwei Gläser Wein getrunken.«
    »Das ist uns vollkommen gleich, darauf kommt’s nun auch nicht mehr an.«
     
    Eine Viertelstunde später, sein Arm war von der Staumanschette bereits taub geworden, spürte Adamsberg, wie sein Blut in Retancourts Körper hinüberfloß. Er lag auf dem Rücken neben ihr und starrte auf ihr Gesicht, lauerte auf ein Zeichen ihrer Rückkehr ins Leben. Mach, daß. Aber er konnte sich noch so sehr konzentrieren und zur dritten Jungfrau beten, er würde nicht mehr Blut geben können als ein anderer. Und der Arzt hatte gesagt drei. Drei Spender. Wie die drei Jungfrauen. Drei. Drei.
    In seinem Kopf begann es sich zu drehen, er hatte kaum etwas gegessen. Widerstandslos überließ er sich dem Schwindel und spürte, wie ihm seine Gedanken allmählich entglitten. Er zwang sich, Retancourts Gesicht anzusehen, und stellte dabei fest, daß ihre Haare am Ansatz blonder waren als die Strähnen, die ihr in den Nacken fielen. Nie zuvor hatte er bemerkt, daß Retancourt ihr Haar dunkler färbte, als es von Natur aus war. Seltsamer Einfall, dieses ästhetische Bedürfnis. Er kannte Retancourt schlecht.
    »Halten Sie noch durch?« fragte der Arzt. »Oder wird Ihnen schon blümerant?«
    Adamsberg winkte ab und kehrte zu seinen Schwindelgefühlen zurück. Hellblond und venezianisches Blond in Retancourts Haar, im Lebendigen der Jungfrau. Demnach hatte sich der Lieutenant im Dezember färben lassen, rechnete er mühsam aus, oder auch im Januar, denn ihre hellblonden Haare waren zwei bis drei Zentimeter nachgewachsen, welch sonderbarer Einfall mitten im Winter, und er hatte nichts davon bemerkt. Er hatte in der Zeit seinen Vater verloren, und das hatte nichts damit zu tun. Es schien ihm, als hätten sich Retancourts Lippen bewegt, aber er sah nicht sehr gut, vielleicht wollte ihm der Lieutenant irgend etwas sagen, ihm was erzählen über dieses Lebendige, das ihr auf dem Kopf nachwuchs, das ihr aus dem Schädel sproß wie die Hörner eines Steinbocks. Das Lebendige, verflucht. Von fern hörte er den Arzt.
    »Stopp«, sagte die Stimme von diesem Doktor Lariboisier, oder wie auch immer er hieß. »Sonst haben wir am Ende noch zwei Tote. Mehr können wir ihm nicht abnehmen.«
     
    In der Eingangshalle des Krankenhauses fragte ein Mann die Dame am Empfang:
    »Violette Retancourt? Wo liegt sie?«
    »Sie können nicht zu ihr.«
    »Ich bin Universalspender, Blutgruppe 0.«
    »Sie liegt auf der Intensivstation«, sagte die Frau und stand sofort auf. »Ich begleite Sie.«
    Adamsberg redete vor sich hin, während man ihm die Staumanschette abnahm. Hände richteten ihn auf und flößten ihm Zuckerwasser ein, man gab ihm eine Spritze in den anderen Arm. Die Tür öffnete sich, und ein ganz in Leder gekleideter Hüne kam ins Zimmer gehastet.
    »Lieutenant Noël«, sagte der Hüne. »Blutgruppe 0.«

51
    Vor dem Eingang des Krankenhauses hatte man eine winzig kleine Grünfläche angelegt, die sich von der trostlosen Welt des Betonpflasters abhob und anzuzeigen schien, daß doch irgendwo ein paar Blumen nötig waren. Bei seinem Hinundherlaufen hatte Adamsberg dieses fünfzehn Quadratmeter große pflanzliche Eiland entdeckt, wo sich zwei Bänke und fünf Blumenkästen um einen kleinen Springbrunnen drängten. Es war zwei Uhr morgens, und der Kommissar, gestärkt und vollgepumpt mit

Weitere Kostenlose Bücher