Die dritte Jungfrau
nämlich ist er«, sagte er, »der Ewigkeitssproß. Die Sprossen am Geweih des Hirschs.«
»Und davon muß man was zu dem Gebräu hinzufügen?«
»Wenn das der Fall wäre, würde uns noch immer das Kreuz fehlen. Und jedes Wort im Rezept zählt, das hatten wir bereits gesagt. Das Kreuz, das im Ewigkeitssproß lebt. Dieses Kreuz muß also ein Kreuz des Hirschs sein. Es besteht aus Knochen wie das Geweih auch, ein unvergängliches Material.«
»Vielleicht die Krone oben am Geweihende«, sagte Voisenet. »Oder der Mittelsproß, der mit der Achse des Geweihs einen Winkel bildet.«
»Ich finde nicht, daß das Hirschgeweih so aussieht, als würde es ein Kreuz bilden«, sagte Froissy.
»Nein«, sagte Adamsberg. »Ich glaube auch, das Kreuz steckt woanders. Ich glaube, man muß einen geheimen Knochen suchen, wie den Knochen des Katers. Im Penisknochen sammelt sich die Manneskraft. Dasselbe müssen wir beim Hirsch suchen. Einen Knochen, und zwar einen kreuzförmigen, der das Ewigkeitsprinzip des Hirschs zusammenfassen würde und in seinem Körper verborgen ist. Ein Knochen, der lebt. «
Adamsberg sah seine Mitarbeiter der Reihe nach an und wartete ihre Antwort ab.
»Keine Ahnung«, meinte Voisenet.
»Ich glaube«, fing Adamsberg wieder an, »daß wir diesen Knochen im Herzen des Hirschs finden werden. Das Herz ist das Symbol des pulsierenden Lebens. Ein Kreuz, das lebt, ein knöchernes Kreuz im Herzen des Hirschs mit den Ewigkeitssprossen.«
Voisenet wandte den Kopf zu Adamsberg.
»Sicher, Kommissar«, sagte er. »Das einzige Problem ist nur, daß der Hirsch keinen Knochen im Herzen hat. Der Hirsch nicht und auch sonst niemand. Weder einen kreuzförmigen noch einen langen oder einen breiten.«
»Aber es muß was darin sein, Voisenet.«
»Warum?«
»Weil im letzten Monat im Wald von Brétilly und danach im Wald von Opportune zwei männliche Hirsche getötet und im Ganzen auf dem Boden liegengelassen wurden. Das einzige: Man hat ihnen das Herz herausgeholt und es geöffnet. In beiden Fällen ist das Massaker von derselben Hand ausgeführt worden. Und in beiden Fällen am gleichen Ort, nämlich innerhalb des Kreises des Heiligen, außerdem in unmittelbarer Nähe der beiden geopferten Frauen. Es war unser Todesengel, der sie niedergemetzelt hat.«
»Klingt logisch«, sagte Lamarre.
»Diese Hirsche sind nach ihrem Tod an einer ganz bestimmten Stelle ihres Körpers geöffnet worden. Genau dasselbe ist mit Narziß, dem Kater, passiert. Man hat sie gewissermaßen operiert, zu einem genau festgelegten Zweck, um ihnen etwas ganz Bestimmtes zu entnehmen. Und was? Das Kreuz, das im Ewigkeitssproß lebt. Es muß sich also im Herzen des Hirschs befinden.«
»Das ist unmöglich«, sagte Danglard kopfschüttelnd. »Das wüßte man doch.«
»Das mit dem Knochen des Katers wußten wir ja auch nicht«, warf Kernorkian ein. »Und das mit dem Rüssel des Schweins auch nicht.«
»Ich wußte es«, sagte Voisenet. »Genauso wie ich weiß, daß im Herzen des Hirschs kein Knochen steckt.«
»Nun, Lieutenant, es wird aber einer drin sein müssen.«
Man brummelte, verzog zweifelnd das Gesicht, während Adamsberg aufstand und sich die Beine vertrat. Den Positivisten leuchtete es nicht ein, daß die Realität sich den nebulosen Einfällen des Kommissars beugen und sogar noch einen Knochen ins Herz eines Hirschs verfrachten sollte.
»Umgekehrt ist es, Kommissar«, beharrte Voisenet. »Es steckt kein Knochen im Herzen. Und wir müssen uns dieser Wahrheit beugen.«
»Voisenet, es muß einer drin sein, oder aber nichts ergibt mehr einen Sinn. Und wenn da einer ist, brauchen wir nur auf das nächste Hirschmassaker zu warten. Die dritte Jungfrau, die die Krankenschwester ausgewählt hat, wird in seiner unmittelbaren Nähe wohnen. Das Kreuz aus dem Herzen muß dem Lebendigen der Jungfrau so nahe wie möglich sein: adiacens in gleicher Menge. › Adiacens‹ meint nicht ›adiciens‹, also ›hinzufügend‹, es hat vielmehr mit dem Ort zu tun.«
» Adiacens «, sagte Danglard, »bedeutet ›das, was danebenliegt‹, das ›Angrenzende‹.«
»Danke, Danglard. Es liegt ziemlich nahe, daß die Jungfrau in der Nähe des Hirschs leben muß. Weibliche und männliche Substanz wird gepaart und bringt Leben hervor, in dem Fall das ewige Leben. Haben wir erst das Herz des nächsten Hirschs, finden wir auch den Namen der Jungfrau unter all denen, die Sie zusammengetragen haben.«
»Gut«, gab Justin zu. »Wie gehen wir vor? Überwachen wir die
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