Die dritte Jungfrau
hab ich mich nie geirrt, du wirst schon bald von ihm hören.«
»Der Béarner sieht das auch so«, fügte Adamsberg hinzu, während ihm der Alte nachschenkte.
»Aha, da hast du’s. Und dabei ist der Béarner noch nicht mal Jäger.«
»Nein«, sagte Adamsberg. »Er ist Bulle.«
Angelbert unterbrach seine Geste, stoppte die Flasche Weißwein auf halber Höhe über dem Glas. Adamsberg begegnete seinem Blick. Die Herausforderung begann. Mit einer knappen Handbewegung bedeutete der Kommissar ihm, er möge sein Glas zu Ende eingießen. Angelbert rührte sich nicht.
»Wir mögen Bullen hier nicht sonderlich«, sagte Angelbert, immer noch mit unbeweglichem Arm.
»Nirgendwo mag man sie«, präzisierte Adamsberg.
»Hier noch weniger als anderswo.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich Bullen mag, ich sagte, ich sei einer.«
»Du magst sie nicht?«
»Wozu?«
Der Alte kniff die Augen fest zusammen, sammelte all seine Konzentration für dieses unerwartete Duell.
»Und wieso bist du’s dann?«
»Aus Unhöflichkeit.«
Die Antwort, sie kam schnell, kapierte keiner der Männer, nicht mal Adamsberg selbst, der Mühe gehabt hätte, seine eigenen Worte zu erklären. Doch keiner wagte es, sein Unverständnis auszudrücken.
»Natürlich«, schloß der Unterstreicher.
Und Angelberts Bewegung, die eingefroren war wie bei einem Filmstopp, lief weiter, die Hand neigte sich, und Adamsbergs Glas wurde endlich gefüllt.
»Oder auch deswegen«, fügte Adamsberg hinzu, wobei er auf den hingemetzelten Hirsch zeigte. »Wann war das?«
»Vor einem Monat. Behalt die Zeitung, wenn’s dich interessiert. Den Bullen aus Évreux ist es scheißegal.«
»Beschränkt, die«, sagte Robert.
»Was ist das?« fragte Adamsberg und zeigte auf einen Fleck neben dem Kadaver.
»Sein Herz«, sagte Hilaire angewidert. »Er hat ihm zwei Kugeln zwischen die Rippen gejagt, dann hat er ihm mit dem Messer das Herz rausgeholt und es zu Brei zerkloppt.«
»Ist das eine Tradition? Das Herz des Hirschs herauszuholen?«
Einen Augenblick lang war man wieder unschlüssig.
»Erklär du’s ihm, Robert«, befahl Angelbert.
»Es haut mich doch ein bißchen um«, begann Robert, »daß du als Bergmensch so gar nichts von der Jagd verstehst.«
»Ich habe die Erwachsenen ein paarmal begleitet«, gab Adamsberg zu. »Ich war immer nur auf Taubenjagd, wie alle Kinder.«
»Trotzdem.«
»Aber sonst nichts.«
»Wenn man seinen Hirsch erlegt hat«, erläuterte Robert, »zieht man ihm die Haut ab, die man als Unterlage ausbreitet. Darauf entnimmt man die Ehren und die Keulen. Die Eingeweide rührt man nicht an. Man dreht ihn um, entnimmt die Filets. Dann schneidet man ihm den Kopf ab, wegen dem Geweih. Wenn man damit fertig ist, hüllt man das Tier wieder in seine Haut.«
»Genau.«
»Aber das Herz rührst du nicht an, verdammt. Ja, früher machten das einige. Aber wir haben uns doch weiterentwickelt. Heutzutage bleibt das Herz beim Tier.«
»Wer machte so was?«
»Gib’s auf, Oswald, das war früher.«
»Der hier wollte nur töten und verstümmeln«, sagte Alphonse. »Nicht mal das Geweih hat er mitgenommen. Dabei ist das doch das einzige, was die Leute wollen, wenn sie nichts davon verstehen.«
Adamsberg blickte zu den großen Geweihen hoch, die über der Tür an der Wand des Cafés hingen.
»Nein«, sagte Robert. »Die da sind nur Schietkram.«
Scheiße, übersetzte Adamsberg.
»Sprich leiser«, sagte Angelbert und deutete auf den Tresen, wo der Wirt eine Partie Domino mit zwei jungen Männern begann, die zu unerfahren waren, um zur Gruppe der Männer zu gehören.
Robert sah kurz zum Wirt und wandte sich wieder dem Kommissar zu.
»Der da ist ein Zugereister«, erklärte er mit leiser Stimme.
»Das heißt?«
»Er ist nicht von hier. Er kommt aus Caen.«
»Caen, liegt das nicht auch in der Normandie?«
Blicke wurden gewechselt, man verzog das Gesicht. Sollte man den Bergmenschen über ein so persönliches Thema unterrichten oder nicht? Über ein so schmerzliches?
»Caen, das ist die Basse-Normandie«, erklärte Angelbert. »Hier bist du in der Haute-Normandie.«
»Und ist das wichtig?«
»Sagen wir, man kann sie nicht vergleichen. Die richtige Normandie ist die Haute-Normandie, also hier.«
Sein krummer Finger wies auf das Holz des Tisches, als sei die Haute-Normandie soeben auf die Größe des Cafés von Haroncourt geschrumpft.
»Vorsicht«, ergänzte Robert, »dort, im Departement Calvados, werden sie das Gegenteil behaupten. Aber denen
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