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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Perspektiven, halb saß man, halb stand man, die Beine konnten ganz nach Belieben sacht hin und her schaukeln, so als wiegte man sich im Nichts, als liefe man durch die Luft, was zu einem Wolkenschaufler sehr gut paßte. In seinem Rücken schlief Mercadet auf den Schaumstoffblöcken.
    Natürlich stammte die Erde unter den Fingernägeln der beiden Männer aus dem Grab. Und weiter? Das erklärte noch lange nicht, wer sie nach Montrouge geschickt hatte, und auch nicht, wonach sie in den Tiefen der Erde gebuddelt hatten, eine ziemlich tragische Handlung, wenn sie zwei Tage später deswegen sterben mußten. Adamsberg hatte schon am frühen Morgen die Größe der Krankenschwester überprüft, 1,65 Meter. Weder zu groß noch zu klein, um sie von der Liste zu streichen.
    Die Auskünfte, die er über die Tote erhielt, verwirrten seine Gedanken nur noch mehr. Élisabeth Châtel, aus dem Dorf Villebosc-sur-Risle, Haute-Normandie, war in einem Reisebüro in Évreux beschäftigt gewesen. Dabei handelte es sich weder um verdächtige Spritztouren für Touristen noch um wilde Abenteuerreisen, sondern um harmlose Rundfahrten per Bus für ältere Menschen. Sie hatte keinerlei Zierat mit ins Grab genommen. Die Durchsuchung ihrer Wohnung hatte kein verstecktes Vermögen ans Licht gebracht, keine Leidenschaft für irgendwelche Kostbarkeiten offenbart. Élisabeth hatte ein bescheidenes Leben geführt, sich nicht geschminkt und keinen Schmuck getragen. Ihre Eltern hatten sie als fromm bezeichnet, und nach dem, was man aus ihren Worten heraushören konnte, hatte sie sich von Männern stets ferngehalten. Auf sich selbst verwendete sie ebensowenig Sorgfalt wie auf ihr Fahrzeug, was ihren Tod auf der gefährlichen dreispurigen Straße zwischen Évreux und Villebosc verursacht hatte. Da die Bremsflüssigkeit verbraucht war, geriet das Auto unter einen Lkw. Das letzte bedeutende Ereignis in der Familie Châtel reichte es bis in die Revolution zurück, als die Sippe sich in Konstitutionelle und Verfassungsgegner spaltete, was einen Toten gefordert hatte. Seither verkehrten die Vertreter der beiden verfeindeten Linien nicht mehr miteinander, nicht einmal im Tod, die einen ließen sich auf dem Friedhof in Villebosc-sur-Risle beisetzen, die anderen in einem Familiengrab in Montrouge.
    Dieser trostlose Bericht schien Élisabeths gesamtes Leben zu enthalten, ein Leben ohne Freunde, die sie nicht suchte, und auch gänzlich ohne Geheimnisse, die sie nicht besaß. Nur eine einzige Ausnahme hatte sie folglich betroffen, die aber erst im Grab. Was, so dachte Adamsberg und ließ seine Beine pendeln, keinerlei Sinn ergab. Für diese Frau, die in ihrem Leben keiner je begehrt hatte, waren zwei Männer gestorben, nachdem sie versucht hatten, an ihren Kopf zu gelangen, als sie längst beerdigt war. Élisabeth war im Krankenhaus von Évreux eingesargt worden, und niemand hatte sich dort hineingeschlichen, um was auch immer in ihren Sarg zu tun.
    Vierzehn Uhr, kurzes Kolloquium in der Brasserie der Philosophen, da die Hälfte der Beamten mit dem Mittagessen dort noch nicht fertig war. Adamsberg nahm es nicht allzu genau mit den Kolloquien und auch nicht, ob sie pünktlich und an ihrem vorschriftsmäßigen Ort stattfanden. Während er die hundert Meter bis zur Brasserie lief, suchte er auf einer Karte, die sich im Wind auffaltete, wo wohl dieses Villebosc-sur-Risle liegen mochte. Danglard wies auf einen kleinen Punkt.
    »Villebosc gehört zur Gendarmerie von Évreux«, präzisierte der Commandant. »Eine Gegend mit strohgedeckten Fachwerkhäusern, Sie kennen die Ecke, es liegt fünfzehn Kilometer von Ihrem Haroncourt entfernt.«
    »Was für ein Haroncourt?« fragte Adamsberg, während er versuchte, die Karte zusammenzufalten, die sich wie ein Segel blähte.
    »Das Haroncourt mit dem Konzert, bei dem Sie die höfliche Begleitung waren.«
    »Ja, ich hatte den Namen des Dorfes vergessen. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß es einem mit Straßenkarten genauso ergeht wie mit Zeitungen, Hemden und verrückten Einfällen? Hat man das Zeugs erst mal auseinandergefaltet, kriegt man es nie mehr zusammen.«
    »Woher haben Sie diese Karte?«
    »Aus Ihrem Büro.«
    »Geben Sie her, ich bringe das in Ordnung«, sagte Danglard und streckte eine besorgte Hand aus.
    Er dagegen schätzte Gegenstände – und Einfälle –, die ihm eine gewisse Disziplin aufzwangen. Jeden zweiten Morgen hatte Adamsberg seine Zeitung bereits durchgesehen, folglich fand er sie schlampig zu einem

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