Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
große Ehre zu, Madame, den Mörder aufzuspür’n, den man nicht sehen kann.
    So nehmt denn meinen Arm, als Diener in der Not begleit ich Euch im Sieg, begleit ich Euch im Tod.«
    Retancourt lächelte ihn an, einen Moment lang von ihrer Arbeit abgelenkt.
    »Wollen Sie das wirklich, Veyrenc?« unterbrach Adamsberg ihn etwas frostig. »Oder ist es reiner Dichtereifer? Wollen Sie Retancourt bei ihrer Schutzmission zur Seite stehen? Denken Sie gut nach, bevor Sie antworten, wägen Sie die Gefahr ab, bevor Sie einwilligen. Da wird’s nicht ums Verseschmieden gehen.«
    »Retancourt reicht als Schutzschild doch dicke aus«, ging Noël dazwischen.
    »Schnauze«, sagte Voisenet.
    »Ja«, sagte Justin.
    Und Adamsberg wurde klar, daß in seiner Truppe Justin zuweilen genau die Rolle des Unterstreichers von Haroncourt übernahm. Und Noël die des aggressivsten Widersprechers.
    Der Kellner brachte die Kaffees, was Gelegenheit zu einer kurzen Atempause gab. Estalère verteilte sie mit seinen eifrigen, bedachten Gesten, jeder bekam seinen speziellen. Man war es gewohnt, man ließ den jungen Mann gewähren.
    »Ja, ich will es«, sagte Veyrenc, die Lippen ein wenig zusammengepreßt.
    »Und Sie, Retancourt?« fragte Adamsberg. »Willigen Sie auch ein?«
    Retancourt blickte Veyrenc offen und nüchtern an, wobei sie mit Hilfe eines sichtlich genauen Meßgeräts abzuschätzen schien, wieweit er sie tatsächlich unterstützen konnte. Man hätte meinen können, ein Pferdehändler begutachtet ein Tier, und diese Prüfung war peinlich genug, um wieder Stille am Tisch eintreten zu lassen. Veyrenc jedoch nahm keinen Anstoß an diesem Test. Er war der Neue, das war der Job. Und immerhin hatte er selbst ja diese Ironie des Schicksals ausgelöst. Adamsberg zu beschützen.
    »Ich willige ein«, sagte Retancourt schließlich.
    »In Ordnung«, Adamsberg stimmte zu.
    »Der?« zischte Noël. »Aber der ist doch ganz neu hier, verflucht.«
    »Er ist seit elf Jahren im Dienst«, erwiderte Retancourt.
    »Ich bin dagegen«, sagte Noël, lauter wertend. »Dieser Kerl wird Sie nicht schützen, Kommissar, dazu hat er nicht die geringste Lust.«
    Gut beobachtet, dachte Adamsberg.
    »Zu spät, es ist entschieden«, erklärte er mit Bestimmtheit.
    Danglard, sich die Nägel feilend, beobachtete die Szene mit besorgtem Blick und schätzte Noëls offensichtliche Eifersucht ab. Der Lieutenant zog mit einem kurzen Ruck den Reißverschluß seiner Lederjacke hoch, wie er es jedesmal tat, wenn er die Linie überschreiten würde.
    »Das müssen Sie wissen, Kommissar«, sagte er hämisch grinsend unter dem grünen Licht. »Aber um diesem Ungeheuer zu trotzen, brauchen Sie einen Tiger. Und bis auf weiteres«, fügte er hinzu und wies mit dem Kinn auf das Haar des Neuen, »hat das Fell allein noch keinen Tiger gemacht.«
    Neuralgischer Punkt, hatte Danglard gerade noch Zeit zu denken, bevor Veyrenc sich bleich, mit Blick auf Noël, erhob. Und sich wie kraftlos wieder fallen ließ. Adamsberg las im Gesicht des Neuen einen dermaßen großen Schmerz, daß sich eine Kugel blanker Wut in seinem Magen bildete, die seinen Krieg zwischen den zwei Tälern in den Hintergrund drängte. Wut war bei Adamsberg dermaßen selten, daß sie gefährlich war, das wußte Danglard, der nun seinerseits aufstand und in einer raschen Bewegung um den Tisch herumlief, rein demonstrativ. Adamsberg hatte Noël hochgezerrt, ihm seine Hand gegen den Oberkörper gedrückt und stieß ihn jetzt Schritt für Schritt bis auf die Straße hinaus. Veyrenc saß regungslos da, eine Hand unwillkürlich in seinem verfluchten Haar, und sah dem Geschehen nicht einmal zu. Er spürte nur, daß zwei Frauen ihn schweigend umgaben, Retancourt und Hélène Froissy. Soweit er zurückdenken konnte, und von einigen chaotischen Gefühlsverwicklungen abgesehen, hatten Frauen ihm nie weh getan. Keine einzige verletzende Bemerkung, nicht einmal billiger Spott. Seit seinem achten Lebensjahr hatte er seinen Weg immer nur mit ihnen bestritten, unter seinen Beziehungen fand sich kein einziger männlicher Gefährte. Er konnte und er mochte nicht mit Männern reden.
    Sechs Minuten später kehrte Adamsberg in die Brasserie zurück, allein. Die Erregung hatte sich noch nicht gelegt und brachte seine Haut wie durch ein stumpfes Licht zum Leuchten, vergleichbar dem ungewöhnlichen Schein, der durch die Kirchenfenster fiel.
    »Wo ist er?« fragte Mordent vorsichtig.
    »Bei den Möwen, weit weg von hier. Und ich hoffe, er fliegt verdammt

Weitere Kostenlose Bücher