Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
seine Spitzhacke von sehr weit oben in die Erde und haut fast senkrecht hinein, der andere holt nicht so sehr aus und hackt weniger weg.«
    »Hackte«, sagte die Gerichtsmedizinerin, die vor zwanzig Minuten zu der Gruppe gestoßen war.
    »Gemessen daran, wie weit die Aufschüttung sich abgesenkt hat, und angesichts der Höhe des Grases nehme ich an, daß die ganze Aktion hier vor ungefähr einem Monat stattgefunden hat«, fuhr Mathias fort.
    »Vermutlich kurz vor Montrouge.«
    »Seit wann ist die Frau hier beerdigt?«
    »Seit vier Monaten«, sagte Adamsberg.
    »Also, ich gehe dann jetzt«, sagte Mathias mit angewiderter Miene.
    »Wie sieht der Sarg aus?« fragte Justin.
    »Der Deckel ist eingeschlagen. Ich habe nicht weiter nachgeschaut.«
    Merkwürdiger Gegensatz, dachte Adamsberg, wie der blonde Riese zum Auto zurückging, das ihn wieder nach Évreux bringen würde, während Ariane nun ihrerseits auf das Grab zutrat und bedenkenlos in ihren Overall schlüpfte. Man hatte keine Leiter mitgebracht, und so ließen Lamarre und Estalère die Gerichtsmedizinerin eigenhändig auf den Grund der Grube hinab. Das Holz des Sarges krachte mehrmals hintereinander, die Beamten wichen vor dem heraufströmenden Gestank zurück.
    »Ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen vorher die Masken aufsetzen«, sagte Adamsberg.
    »Schalte die Scheinwerfer an, Jean-Baptiste«, sagte die ruhige Stimme der Gerichtsmedizinerin, »und reich mir eine Taschenlampe herunter. Es sieht so aus, als wurde nichts angerührt, wie bei Élisabeth Châtel. Man könnte meinen, die Särge seien nur zum Reinschauen geöffnet worden.«
    »Vielleicht ein Jünger von Maupassant«, murmelte Danglard, der sich die Maske vors Gesicht preßte und sich zwang, in der Nähe der anderen zu bleiben.
    »Das heißt, Capitaine?« fragte Adamsberg.
    »Maupassant erfand einen Mann, den der Verlust der Frau, die er liebt, sehr quält und der voller Verzweiflung darüber ist, daß er die einzigartigen Züge seiner Freundin nie wieder wird sehen können. Entschlossen, sie ein letztes Mal zu betrachten, gräbt er ihr Grab auf bis zu ihrem geliebten Gesicht. Das keine Ähnlichkeit mehr hat mit jenem, das er so vergötterte. Dennoch umarmt er es in dem abscheulichen Gestank, und da er das Parfum seiner Geliebten nicht mehr an sich trägt, begleitet ihn fortan der Geruch ihres Todes.«
    »Wie reizend«, meinte Adamsberg.
    »Das ist Maupassant.«
    »Aber es bleibt eine Geschichte. Und Geschichten werden geschrieben, damit sie im wahren Leben nicht passieren.«
    »Kann man nie wissen.«
    »Jean-Baptiste«, rief die Gerichtsmedizinerin, »weißt du, wie sie gestorben ist?«
    »Noch nicht.«
    »Ich werd’s dir sagen: Ihr Hinterkopf ist zertrümmert. Sie wurde brutal erschlagen, oder aber irgendwas ist ihr auf den Kopf gefallen.«
    Adamsberg entfernte sich nachdenklich. Unfall bei Élisabeth, Unfall bei dieser hier, oder vielleicht auch Mord. Die Gedanken des Kommissars begannen sich zu verwirren. Es war absolut unverständlich, daß jemand Frauen umbrachte, um drei Monate später ihre Gräber wieder zu öffnen. Er setzte sich ins feuchte Gras und wartete darauf, daß Ariane ihre Überprüfung abschloß.
    »Sonst nichts weiter«, sagte die Gerichtsmedizinerin und ließ sich aus dem Loch ziehen. »Nicht mal einen Zahn hat man ihr gestohlen. Ich habe den Eindruck, die Erde wurde vor allem auf der oberen Kopfhälfte weggeschaufelt. Möglicherweise wollte der Gräber sich eine Haarsträhne von der Leiche holen. Oder ein Auge«, fügte sie ruhig hinzu. »Aber zum jetzigen Zeitpunkt hat sie …«
    »Ich weiß, Ariane«, unterbrach Adamsberg sie. »Hat sie keine Augen mehr.«
    Danglard, dem immer übler wurde, flüchtete sich zur Kirche. Er suchte Schutz zwischen zwei Pfeilern und zwang sich, das typische Mauerwerk der kleinen Kirche zu studieren, ein schwarz-rotes Würfelmuster aus Feuerstein. Doch die gedämpften Stimmen drangen trotz allem bis zu ihm.
    »Wenn es wirklich darum ging, sich eine Haarsträhne zu holen«, sagte Adamsberg, »hätte man die doch genausogut auch vorher abschneiden können.«
    »Falls man rankommt.«
    »Bei einer einzigen Frauenleiche könnte ich jene über den Tod hinausgehende Inbrunst à la Maupassant ja noch begreifen, aber nicht bei zweien, Ariane. Konntest du erkennen, ob irgendwas an den Haaren gemacht wurde?«
    »Nein«, sagte die Medizinerin und zog ihre Handschuhe aus. »Sie hatte kurzes Haar, da ist keinerlei Schnitt zu erkennen. Möglicherweise hast du’s

Weitere Kostenlose Bücher